Bundesgerichtsurteil: 5A_404/2015 – Urteil vom 27. Juni 2016

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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

5A_404/2015

Urteil vom 27. Juni 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Bovey,
nebenamtliche Bundesrichterin van de Graaf,
Gerichtsschreiber von Roten.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Bernegger,
Beschwerdegegner,

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des Kantons Zug.

Gegenstand
Kindesschutz (Beistandschaft),

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug,
Fürsorgerechtliche Kammer, vom 19. März 2015.


Erwägungen:

5.2.5. Was die Weigerung des Kindes anbelangt, so kann diese mit einer der drei
in Art. 274 Abs. 2 ZGB aufgeführten Fallkonstellationen zusammenhängen oder
aber gegebenenfalls selbständig unter die “anderen wichtigen Gründe” subsumiert
werden. Bezüglich Wille des Kindes ist zunächst dessen Alter zu berücksichtigen
bzw. dessen Fähigkeit zu autonomer Willensbildung, welche ungefähr ab dem 12.
Altersjahr anzunehmen ist. Das Kind kann indes nicht in Eigenregie bestimmen,
ob und zu welchen Bedingungen es Umgang mit dem nicht sorge- oder
obhutsberechtigten Elternteil haben möchte. Zudem gilt die kinderpsychologische Erkenntnis als anerkannt, dass in der Entwicklung des Kindes die Beziehung zu beiden Elternteilen sehr wichtig ist und bei dessen Identitätsfindung eine entscheidende Rolle spielen kann. Gerade bei Knaben ist die
Orientierungsmöglichkeit an einer väterlichen Identifikationsfigur für die
Entwicklung der Männlichkeit von grosser Bedeutung (vgl. für eine
Zusammenfassung der Rechtsprechung: Urteil 5A_200/2015 vom 22. September 2015
E. 7.2.3.1, in: FamPra.ch 2016 S. 306). Dies gilt, wenn auch in reduziertem
Mass, selbst dann, wenn an die Stelle des leiblichen ein sozialer Vater,
beispielsweise der neue Lebenspartner der Mutter, getreten ist, bleibt doch
gegenüber ersterem neben dem Unterhaltsanspruch auch die verwandtschaftliche
Beziehung bestehen (Urteil 5C.170/2001 vom 11. August 2001 E. 5a/aa, in:
FamPra.ch 2002 S. 392). Solche Überlegungen sind in die Gesamtwürdigung
miteinzubeziehen.

5.3. Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung ist die errichtete
Beistandschaft mit dem Zweck, den Kontakt zwischen C.A.________ und dem
Beschwerdegegner wieder anzubahnen, nicht zu beanstanden. Nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz liegen keine Umstände vor, welche
eine gänzliche Unterbindung des Kontakts von Vater und Sohn rechtfertigen
würden. Ein vollständiger Kontaktabbruch zwischen C.A.________ und dem
Beschwerdegegner entspricht gerade nicht dem Wohl des Kindes. Vielmehr liegt
darin in mittel- und langfristiger Entwicklungsperspektive eine Gefährdung des
geistigen Wohls von C.A.________. Die errichtete Beistandschaft ist geeignet,
eine Wiederaufnahme des Kontakts mit dem Fernziel der Etablierung eines
Besuchsrechts in die Wege zu leiten. Angesichts der fehlenden
Kooperationsbereitschaft der Beschwerdeführerin, den Kontakt von C.A.________
zum Beschwerdegegner zu ermöglichen und positiv darauf hinzuwirken, ist auch
keine mildere Massnahme ersichtlich. Was die Beschwerdeführerin dagegen
vorbringt, ist nicht stichhaltig. So ist es unter anderem unzutreffend, dass
die Vorinstanz die Befindlichkeit von C.A.________ ausgeblendet hätte, sondern
sie hat zutreffend festgehalten, dass der von der Beschwerdeführerin induzierte
subjektive Wille von C.A.________ nicht allein massgebend sein könne. Es ist
zwar nachvollziehbar, dass erste Kontakte von C.A.________ zum Vater nach
dieser Zeitspanne des Kontaktunterbruchs mit unangenehmen Gefühlen für
C.A.________ verbunden sein können. Die Beistandschaft dient aber gerade auch
dazu, C.A.________ den Umgang mit diesen Gefühlen zu erleichtern und ihm zu
ermöglichen, ein eigenes aktuelles Bild von seinem Vater zu erhalten. Die
Kindeswohlgefährdung von C.A.________ ist nicht in einem Kontakt zu seinem
Vater zu lokalisieren, sondern wie bereits erwähnt in der mittel- und
langfristigen Gefährdung seiner Entwicklung bedingt durch den vollständigen
Kontaktabbruch zu seinem leiblichen Vater und damit zu einem wesentlichen Teil seiner Herkunft und Identität.


BGE 5A_404/2015


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