Kinder der ermordeten Afghanin haben neues Zuhause – für 27’000 Franken pro Monat

Vor über einem Jahr tötete der Vater die Mutter. Für die Notfallplatzierung der drei Kinder jener ermordeten Afghanin zahlte der Kanton fünf Monate lang 57’000 Franken. Der Aufenthalt in einer Wohngruppe kostet aktuell 27’000 Franken.

Der Schock im Dorf sass tief: Vor gut einem Jahr, am 4. November 2015, wird in Gipf-Oberfrick eine 30-jährige Afghanin erstochen. Die Polizei nimmt den 40-jährigen Ehemann noch am Tatort fest; er ist der einzige Tatverdächtige und sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft.

Für die drei Kinder – damals 7 bis 13 Jahre alt – besorgen die Behörden noch am gleichen Tag einen Notfallplatz im Kinderheim Brugg. «Die Behörden haben schnell und gut reagiert», sagt Urs Treier, Gemeindeschreiber von Gipf-Oberfrick. Ziel sei es, sagte Treier einen Monat nach der Tat zur az, möglichst schnell einen geeigneten Platz zu finden. Er räumte aber ein: «Das wird schwierig, denn solche Plätze sind rar.»

Fünf Monate sollte es dauern, bis ein Platz gefunden war; seit Ende März leben die drei Kinder in einer sozial- und heilpädagogischen Einrichtung im Kanton Solothurn. Eine ebenfalls angedachte Unterbringung in einer Familie kam schliesslich nicht zustande.

Gemeindeammann Regine Leutwyler und Treier haben die Kinder an ihrem neuen Wohnort einmal besucht. Die kleine Institution wird durch ein Leiterehepaar wie eine Grossfamilie geführt. «Die drei Geschwister haben sich gut eingelebt», sagt Treier.

Sie besuchen die Regelschule und gehen in der Freizeit verschiedenen Aktivitäten nach. «Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut.» Der Gemeindeschreiber weiss aber auch: «Die Tragik, durch das Delikt die Mutter und praktisch auch den Vater verloren zu haben, wird noch lange nachwirken.» Ihren Vater haben sie bislang nicht wiedergesehen.

War Notfallintervention zu lange?

Trotz guter Lösung – ganz glücklich war die Gemeinde mit der Notfallintervention nicht. Sie dauerte ihrer Ansicht nach zu lange. Und: «Die Kinder konnten im Kinderheim Brugg den ordentlichen Schulunterricht nicht besuchen.» Das sei nicht unproblematisch gewesen, «weil dadurch die gewohnte Tagesstruktur unterbrochen wurde und dies die Verarbeitung des tragischen Vorfalls noch schwieriger gemacht hat».

Zum konkreten Fall will Nicole Payllier, Leiterin Kommunikation der Gerichte Aargau und damit auch Sprecherin für das im vorliegenden Fall zuständige Familiengericht Laufenburg, aus «Gründen des Persönlichkeitsschutzes» nicht Stellung nehmen.

Sie sagt allgemein aber: «Die Organisation der Institutionen richtet sich nach dem jeweiligen Betriebskonzept, das im Rahmen der Bewilligung der Einrichtung geprüft wird.» Zuständig dafür sei das Departement Bildung, Kultur und Sport. «In diesen Betriebskonzepten wird einer guten Tagesstruktur und dem Schulbesuch von schulpflichtigen Kindern regelmässig grosse Beachtung geschenkt.»

Nicht im Detail äussern will sich Payllier auch zu den Kosten, welche die Unterbringung der drei Kinder mit sich bringt. Treier wird da konkreter:

Die Notfallplatzierung im Kinderheim Brugg kostete für die drei Kinder zusammen 57’000 Franken pro Monat; macht in fünf Monaten insgesamt rund 285’000 Franken. Der Aufenthalt in der Wohngruppe schlägt heute laut Treier mit 27’000 Franken im Monat zu Buche.

Die Kosten trägt der Kanton voll – allerdings erst nach Intervention der Gemeinde.

«Ursprünglich sollten wir uns an den Kosten beteiligen.»

Das akzeptierte die Gemeinde nicht, denn bis zum Mord kam der Kanton vollumfänglich für die Familie auf; deren Asylgesuch war zwar abgewiesen worden, sie durfte aber aus humanitären Gründen in der Schweiz bleiben und erhielt den Status «vorläufig aufgenommen». «Dass nun durch den tragischen Tod der Mutter die Gemeinde plötzlich teilkostenpflichtig werden sollte, leuchtete uns nicht ein.»

Gegen Kostenbeteiligung gewehrt

Die Gemeinde habe sich auch deshalb gewehrt, weil eine Kostenbeteiligung von 1200 Franken pro Monat und Kind auf zehn Jahre gerechnet die Gemeindekasse doch erheblich belastet hätte; die Gemeinde hätte, auf eine hypothetische Heimunterbringungsdauer von zehn Jahren hochgerechnet, 430 000 Franken an die Kosten von insgesamt 3,24 Millionen Franken beisteuern müssen. Der Kanton lenkte ein.

Die Frage, ob 57 000 Franken im Monat für die Unterbringung von drei Kindern nicht arg hoch sind – selbst wenn es sich um einen Notfallplatz handelt, mag Treier nicht beantworten. Payllier ebenfalls nicht, verweist aber darauf, dass sich die konkrete Unterbringung in Notsituationen danach richte, ob freie Plätze verfügbar seien und ob die Einrichtung geeignet sei.

«Die Kostenfolgen haben für die Familiengerichte hinter den Interessen der sachgerechten Massnahme zurückzustehen und werden nur mitberücksichtigt, wenn mehrere ebenso geeignete Institutionen verfügbar sind.»

Schnellere Beschulung gewünscht

Die Höhe der Kosten werde, so Payllier weiter, von der Institution und dem zuständigen Departement losgelöst vom Einzelfall festgelegt und genehmigt. «Die Kosten für den Aufenthalt sind der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zwar in der Grössenordnung, nicht aber im Einzelnen bekannt.»

Die Gemeinde Gipf-Oberfrick möchte ihre Einwände nicht als Systemkritik verstanden wissen. «Es ist wichtig, dass es solche Notfallplätze gibt.» Auch die Zusammenarbeit mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, die landesweit oft in der Kritik steht, hat der Gemeinderat «als sehr gut und effizient» erlebt. Man hätte sich aber gewünscht, dass die Beschulung der Kinder und die Alltagsnormalisierung nach der Erstintervention «etwas schneller gelaufen wäre».

Für die Gemeinde Gipf-Oberfrick ist der Fall offiziell abgeschlossen; sie ist für die Kinder nicht mehr zuständig. Eine Verbundenheit aber bleibt. «Das Schicksal der Familie hat viele im Dorf bewegt.»

Vor einigen Tagen hat der Gemeinderat einen Brief nach Solothurn geschickt. Falls die Kinder auf Weihnachten etwas benötigen, steht da, solle man sich melden.

(Von Thomas Wehrli)


Limmattalerzeitung.ch


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