Mütter klagen an: Gebt uns unsere Kinder zurück !


Täglich werden drei Kinder ihren Eltern weggenommen. Am meisten leiden die Kleinen darunter. Betroffene wehren sich.

Bunte Bilder hängen an den Wänden im Kinderzimmer, in Körben und Kisten türmen sich Stofftiere, Autos und Musikinstrumente. Die Spielsachen sind unbenutzt. Auch im Kajütenbett mit Rutschbahn hat noch nie ein Kind geschlafen. «In diesem Zimmer spielen nur die Katzen», sagt Marianne Kutzsche (37) traurig. Die alleinerziehende Mutter aus Zürich kämpft um ihre Kinder. Dafür, dass Jasmin (4) und Noah (3) bei ihr aufwachsen dürfen. «Die Kinder gehören zur Mutter!»

«Mit ihrer Aufgabe überfordert»

Das sehen die Behörden anders. Marianne Kutzsche sei nicht in der Lage, ihre Kinder grosszuziehen, heisst es in den Akten. Sie sei «mit ihrer Aufgabe überfordert», es «scheine, als fehle ihr die emotionale Nähe zum Kind». Deshalb leben Jasmin und Noah in einem Heim, dürfen ihre Mutter nur alle zwei Wochen sehen, für zwei Stunden, unter Aufsicht.

Auslöser für den erbitterten Streit: Schon vor der Geburt ihrer Tochter erhielt Kutzsche für das ungeborene Kind einen Beistand, weil der Vater die Vaterschaft nicht anerkennen wollte. «Die Beiständin hat jedes Detail in meiner Wohnung kontrolliert und mir die Hölle heiss gemacht», sagt Kutzsche.

Behördenvertreterin rausgeworfen

Als die Behördenvertreterin nach zwei Wochen einen leichten Gewichtsverlust des Babys monierte, kam es zum Eklat. «Ich habe sie rausgeworfen und ihr am nächsten Tag die Türe nicht geöffnet.» Ein folgenschwerer Fehler. Tage später standen uniformierte Polizisten und ein Beamter der Vormundschaftsbehörde vor der Tür der gelernten Kauffrau. «Sie nahmen mein schlafendes Kind und brachten es weg», sagt Marianne Kutzsche, «es war ein Horror.»

Ein Jahr später brachte sie Noah zur Welt. Der Albtraum ging weiter: «Als ich nach der Geburt aufwachte, war der Bub schon weg.»

Marianne Kutzsche ist verzweifelt. Sie kämpft mit allen Mitteln um ihre Kinder, gegen die Behörden, seit vier Jahren schon. Während sie sich mit Paragrafen, Eingaben und Gutachten beschäftigen muss, werden ihre Kinder mit jedem Tag grösser – und sie darf sie dabei nicht begleiten.

Wie Tausende andere Eltern, die um ihre Kinder kämpfen, befindet sie sich in einem Teufelskreis: Weil sie sich von den Behörden ungerecht behandelt fühlt, lehnt sie sich auf, wird wütend – doch mit jedem neuen Streit sinken ihre Chancen, ihre Kinder jemals wieder in Obhut nehmen zu können.

Weder Alkohol- noch Drogenprobleme

«Ich bin nicht aggressiv, habe noch nie einem Kind ein Haar gekrümmt», schrieb Kutzsche kürzlich ans Gericht. «Ich bin gesund und habe weder Alkohol- noch Drogenprobleme. Ich bin doch keine schlechte Mutter!»

Ihr Psychiater empfiehlt in ­einem Gutachten, die Kinder bei der Mutter leben zu lassen und unangemeldete Stichkontrollen durchzuführen. «Sie stellt keine Gefahr für die Kinder dar.»

Doch Marianne Kutzsche ist bei den Behörden abgeblitzt. Jetzt bereitet sie eine Klage ans Obergericht vor, um die Obhut über Jasmin und Noah wieder zu erhalten. Irgendwann.

Eltern ohne Rechte: Im Jahr 2012 entzogen die Behörden 1115 Müttern und Vätern die Obhut über ihre Kinder. Jeden Tag dürfen drei Kinder nicht länger bei ihren Eltern leben. Extrem zugenommen hat auch die Zahl der Beistandschaften: Hatten im Jahr 2004 noch 19273 Kinder einen Beistand, der Mutter oder Vater im Auftrag der Behörden zur Seite stand, waren es 2012 bereits 26239.

Gratwanderung für die Behörden

Für die Behörden ist jeder Entscheid eine Gratwanderung. Sie müssen abwägen, ob die Eltern ihr Kind wirklich gefährden – weil sie suchtkrank sind – das Kind körperlich oder psychisch misshandeln, es vernachlässigen. Oder ob die Familie mit professioneller Hilfe intakt bleiben kann.

«Wenn das Kindeswohl nicht anders gewährleistet werden kann, muss eine Obhutsentziehung verfügt werden», sagt Talia Bongni von der Stiftung Kinderschutz Schweiz. Dabei müsse allen klar sein: «Die Trennung des Kindes von den leiblichen Eltern ist eine extrem einschneidende Massnahme.»

Deshalb müssten die Behörden viel früher hinschauen und die Eltern mit einer Familienbegleitung oder durch die Ernennung eines Erziehungsbeistands unterstützen. Bongni: «Es darf kein Tabu sein für Eltern, Hilfe zu holen.»

Der grösste Fehler

Doch genau das wurde Nadine Vogler (36) aus Frieswil BE zum Verhängnis. Die alleinerziehende Mutter erlitt einen Zwerchfell-Durchbruch, konnte nicht mehr richtig essen und trinken, eine Operation war unausweichlich. Bei den Behörden suchte sie Hilfe, um ihre drei Kinder in dieser Zeit unterzubringen. «Das war der grösste Fehler meines Lebens.»

Vogler unterschrieb eine Erklärung, dass sie mit dem Obhutsentzug einverstanden sei. «Die Behörden sagten mir, das sei reine Formsache, nur so könne man die Kinder in der Zeit der Operation platzieren. Danach würde ich die Obhut wieder zurückbekommen.»

Doch dann gab es Probleme mit ihrem ältesten Sohn. Er ist auffällig dominant, unruhig, zappelig. Die zuständige Sozial- und Vormundschaftskommis­sion beauftragte eine Psychologin, ein Erziehungsfähigkeitszeugnis über Vogler zu erstellen. Das Resultat war für die Mutter niederschmetternd. Sie sei in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt, könne wenig Stabilität, Kontinuität und Klarheit bieten. Die Kinder seien bis zum Abschluss einer Ausbildung fremdzuplatzieren.

«Ich fühle mich hilflos und ohnmächtig gegenüber den Behörden», sagt Nadine Vogler. Besonders bitter: Ihre drei Kinder sind in verschiedenen Institutionen untergebracht. «Dabei sollten sie doch zusammen aufwachsen können!»

Jetzt erhält Nadine Vogler Unterstützung von einem Anwalt der Guido-Fluri-Stiftung, die sich für Menschen in Not einsetzt. Wie Marianne Kutzsche hat sie nur einen Traum: Sie will, dass ihre Kinder wieder bei ihr Leben, in dem Zimmer, das sie mit so viel Liebe für sie eingerichtet hat.


Blick am Abend


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"Wenn Unrecht zu Recht wird, wird WIDERSTAND zur Pflicht!"
Veröffentlicht unter Allgemein, Entfremdung, Gesetz, KESB - Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, Politik, Staat