Die Höhe der Alimente soll nicht mehr vom Zivilstand abhängen



Der Ständerat hat das neue Unterhaltsrecht einstimmig angenommen. Kritiker diskutieren demnächst über ein Referendum.

Die Gesetzesänderung, die seit Juli dieses Jahres allen Eltern unabhängig vom Zivilstand das gemeinsame Sorgerecht gewährt, war ein langjähriges Anliegen der Väter. Mit dem neuen Unterhaltsrecht, das der Nationalrat im Sommer grossmehrheitlich und der Ständerat gestern einstimmig gutgeheissen hat, kommen nun die Mütter zum Zug. Sie – beziehungsweise ihre politischen Vertreter – kritisieren seit langem, dass das Zivilgesetzbuch in diesem Bereich ver­altet und lückenhaft sei.

Mit dem künftigen Gesetz sollen die Kinder verheirateter und lediger Eltern einander gleichgestellt werden. Zu diesem Zweck wird der sogenannte Betreuungsunterhalt eingeführt: die geschätzten Kosten für die Betreuung des Kindes. Heute bekommt nach einer Scheidung die Alimentenempfängerin Kindesunterhalt sowie Unterhalt für sich selbst. Bei nicht verheirateten Eltern ist nach einer Trennung lediglich der Kindesunterhalt fällig. Neu gibt es den zivilstandsunabhängigen Betreuungsunterhalt, mit dem die Betreuung der Kinder finanziell entschädigt wird.

Weitere Änderungen sind, dass der Kindesunterhalt künftig im Gesetz ausdrücklich Vorrang haben soll vor allen anderen familienrechtlichen Unterhaltspflichten und dass der Bundesrat ermächtigt wird, die Inkassohilfe per Verordnung zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Säumige Alimentenzahler sollen sich ihr Guthaben aus der zweiten Säule nicht mehr unbemerkt auszahlen lassen können, die Behörden würden in solchen Fällen informiert, damit sie die Alimentenschulden eintreiben können. Zudem soll in Gerichtsfällen die Stellung des Kindes durch einen offiziellen Vertreter gestärkt werden.

Offener Brief an Ständeräte

Elf Organisationen, unter anderen die FDP-Frauen und Männer.ch, haben letzte Woche die Mitglieder des Ständerats in einen offenen Brief gebeten, die Vorlage abzulehnen. Sie hätten immer darauf hingewiesen, dass die Unterhaltsrechtsrevision den Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen stärken «und eben nicht gerade den Rückfall ins traditionelle Ernährermodell» zementieren dürfe. Damit zielen die Kritiker auf den Betreuungsunterhalt ab, der nicht nur dem Gebot der Gleichstellung widerspreche, «sondern in Zeiten des Fachkräftemangels insbesondere auch dem Gebot wirtschaftlicher Weitsicht».

Mit Rechenbeispielen weisen die Unterzeichner darauf hin, dass der im Gesetz nicht definierte Betreuungsunterhalt je nach gerichtlicher Auslegung ein bodenloses Fass werden könne und insbesondere Väter mit «unerfüllbaren finanziellen Forderungen» gezwungen wären, die Kinderbetreuung aufzugeben, um mehr Geld zu verdienen. Der Zugriff auf die Guthaben der zweiten Säule werde zudem zahlreiche Unterhaltsschuldner vollends in die Schuldenfalle abrutschen lassen.

Dieser Kritik, die auch andernorts geäussert wurde (TA vom 11. 6.), widersprach Simonetta Sommaruga gestern im Ständerat. «Wir sagen nicht: Jetzt kann sich die Mutter zurücklehnen und sich sagen, sie habe ja den Betreuungsunterhalt.» Dieser sei nämlich kein Lohn, sondern eine Abgeltung für den Erwerbsausfall. «Es ist klar: Wenn sich die Paare in der Betreuung abwechseln, tritt die Frage des Betreuungsunterhalts automatisch in den Hintergrund.»

Mehr Verständnis zeigte die Bundesrätin für die Kritik von Mütterorganisationen am Entscheid des Ständerats, die sogenannte Mankoteilung nicht in diese Gesetzesrevision aufzunehmen. Dabei geht es um die Regelung der Fälle, in denen das Einkommen zweier getrennt Lebender nicht für beide Haushalte reicht. Heute trägt die alimentenbeziehende Person das Manko und muss Sozialhilfe beziehen, dem Zahler bleibt das Existenzminimum. Diese einseitige Last hat das Bundesgericht gerügt, und der Bundesrat wollte sie mit dem neuen Unterhaltsrecht beseitigen, was aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geht.

FDP-Frauen akzeptieren

Die Unterzeichner des offenen Briefs überlegen sich nun, ob sie das Referendum ergreifen sollen. Für die FDP-Frauen ist dieses mit dem gestrigen Ständeratsentscheid in den Hintergrund gerückt, weil der Rat zwei für sie entscheidende Passagen ins Gesetz aufgenommen hat: Das Gericht muss beim Entscheid über die Obhut das Recht des Kindes berücksichtigen, regelmässigen Kontakt zu beiden Elternteilen zu pflegen. Und auf Antrag eines Elternteils prüft das Gericht die Möglichkeit einer alternierenden Obhut. «Im Sinne eines gutschweizerischen Kompromisses können wir die Gesetzesrevision so akzeptieren», sagt Carmen Walker Späh, die Präsidentin der FDP-Frauen.

Markus Theunert, Präsident des Vereins Männer.ch, lässt die Referendumsfrage offen. Nach der Schlussabstimmung werden sich die Unterzeichner des offenen Briefs treffen und das weitere Vorgehen beschliessen. «Die Ängste sind teilweise gross», sagt er. Männer.ch habe deshalb auf Anfang Januar provisorisch eine ausserordentliche Mitgliederversammlung anberaumt, um diese Frage basisdemokratisch zu klären.

(Tages-Anzeiger)



Tages Anzeiger.ch


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