Wie ein Vater sein Kind verliert

Seit Jahren kämpft Andreas Z. um ein Besuchsrecht und das gemeinsame Sorgerecht. Nun ist seine Expartnerin mit der gemeinsamen Tochter abgetaucht –angeblich in Neuseeland.

Im Vorjahr gab es in Österreich 37.458 Eheschließungen, geschieden wurden 16.647 Ehen. Aus ihnen gingen 18.960 Scheidungskinder hervor. Wird nach der Zahl der Waisen gefragt, deren Eltern sich ohne Trauschein gefunden und wieder verloren haben, schweigt die Statistik. Die Vermutung liegt nahe, dass ledige Paare mit Kindern, zurzeit ca. 156.000, mindestens ebenso häufig auseinandergehen. Eine Erfahrung, die auch die sechsjährige M. machen musste, deren Geschichte wie ein Kriminalroman klingt: Vor Schulschluss wurde sie per E-Mail abgemeldet. Auch ihr Vater, der sich seit 2012 um Kontaktrecht und gemeinsame Obsorge müht, hat Post erhalten: Mutter und Tochter ziehen nach Neuseeland. Kein Datum, keine Adresse.

Gang vor Gericht

2003 lernt der Unternehmer Andreas Z. (Name der Redaktion bekannt) seine Partnerin E. kennen, 2008 wird M. geboren. „Die Beziehung verschlechterte sich“, so Z. Man einigt sich mündlich auf das gemeinsame Sorgerecht, umgesetzt wird es nicht. Das Paar trennt sich im August 2012, M. und E. ziehen zu E.s Mutter. „Jetzt merkte ich, dass E. nie in unserer Wohnung, sondern nur bei der Mutter gemeldet war“, sagt Z. Er sieht das Mädchen nicht mehr, erinnert per E-Mail an die Einigung. E. lehnt ab. „Was sollte ich tun?“, fragt Z. „Ich kann mein Kind nicht stalken, also ging ich vor Gericht.“

Im November verfügt das Bezirksgericht Klosterneuburg ein begleitetes Besuchsrecht. Die Umsetzung scheitert: Nach zwei Wochen wirft E. ihrem Expartner vor, M. sexuell missbraucht zu haben. Eine polizeiliche Anzeige macht sie nicht, lässt aber am AKH Wien einen klinisch-psychologischen Befund erstellen. Ein Missbrauch wird nicht festgestellt. Mutter und Kind wechseln Wohnort und richterliche Zuständigkeit. „Das Bezirksgericht Josefstadt übernahm den Fall im März 2013“, sagt Prozessbegleiterin Margreth Tews, die Z. psychosozial betreut. „Bis 22.Mai herrschte Stillstand, dann wird der Beschluss über die Erstellung eines Sachverständigengutachtens gefasst.“ Z. beantragt im Juni die Umsetzung des begleiteten Kontaktrechts, er habe M. seit neun Monaten nicht gesehen. Vergebens. Im August liegt das Gutachten vor, erörtert wird es im Oktober. Fazit: Keine Hinweise auf einen Missbrauch. Die Beibehaltung der alleinigen Obsorge durch E. sei aber „mittel- bis langfristig zu hinterfragen“, da sie „ihre Bedürfnisse vor jene ihres Kindes stellt“. Und M. wird zitiert: „Das ist der Papa, aber die Mama sagt, den darf ich nicht lieb haben.“

Richterin Gabriela Thoma-Twaroch verfügt darauf ein begleitetes Kontaktrecht, das erste Treffen zwischen Z. und M. findet im November statt. Ein Ergänzungsgutachten zur Interaktionsbeobachtung zwischen ihnen wird angeordnet, im Jänner 2014 liegt es vor. Im April findet die zweite Verhandlung statt, E. und Z. wird eine Erziehungsberatung verordnet. Das Verfahren wird einstweilen ausgesetzt. Die zehn Einheiten ziehen sich über neun Monate. Sie ändern nichts: E. will keinen Kontakt, Z. die gemeinsame Obsorge.

Im Oktober werden die begleiteten Besuche auf drei Stunden pro Woche ausgedehnt, abgelehnt wird der Antrag auf ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Mutter. Ende Jänner bringt Z. einen Fristsetzungsantrag ein, woraufhin das Gericht am 24. Februar die Bestellung der Gutachterin beschließt.

Das letzte Treffen zwischen M. und ihrem Vater findet am 21. März 2015 statt. Weitere werden durch E. abgesagt. Am 11. April langt bei Z. ein E-Mail ein, in dem sie ihm mitteilt, aus beruflichen Gründen mit M. nach Neuseeland ziehen zu wollen. Ein weiteres Mail meldet die Sechsjährige von der Schule ab. Angaben über die neue Bildungsanstalt gibt es nicht. Z. beantragt eine einstweilige Verfügung wegen „Gefahr in Verzug“ und, ihm vorläufig die alleinige Obsorge zu übertragen, „da der Verlust der österreichischen Zuständigkeit unmittelbar bevorsteht“. Es passiert nichts. Z. spricht bei der Richterin vor, die die Familiengerichtshilfe mit Erhebung des familiären Umfelds von E. beauftragt. Am 11. Mai legt der Wiener Familienbund einen Bericht über die Treffen zwischen Z. und M. von Dezember 2014 bis 21. März 2015 vor. Das Fazit: „M. freut sich immer, wenn sie den KV (Kindesvater, Anm.) sieht, läuft gleich zu ihm und umarmt ihn.“ Am 12. Mai folgt der Bericht der Familiengerichtshilfe. Darin geben Großmutter, Onkel und Tante an, mit M. und E. telefoniert zu haben. Sie seien in Neuseeland, eine Adresse gibt es nicht.

Schutz des Kindes

Z. glaubt nicht an Neuseeland, unterstellt E. arge Flugängste. Zudem sei sie noch auf der Website ihres hiesigen Arbeitgebers ausgewiesen. „Ich verstehe nicht, dass sie sich einem Gerichtsverfahren und den Behörden so leicht entziehen kann“, kritisiert er. Ersteres ziehe sich seit drei Jahren hin, Z.s Kosten lägen bei über 50.000Euro. Der Richterin wirft er vor, erst nach dem Anruf eines TV-Senders am 28. Mai 2015 rasch agiert zu haben: Mit dem Beschluss, wonach Z. zur „Geheimhaltung jener Tatsachen verpflichtet (wird, Anm.), von denen er ausschließlich durch das Pflegeschaftsverfahren Kenntnis erlangt hat.“ Begründet wird das mit dem Schutz des Mädchens. Z. legte Rekurs ein.

„Ich weiß noch immer nicht, wo M. ist“, sagt der Unternehmer. Einzelne Telefonate habe es seit Mai gegeben, Neuseeland wurde nicht erwähnt: „Sonst heißt es, ich frage sie aus.“ Am 16. Juni ordnete das Gericht die Bekanntgabe ihres Wohnorts an. Z. wartet noch, während Thoma-Twaroch schweigt: „Ich kann als entscheidende Richterin keine Stellungnahme abgeben.“ E. antwortet der „Presse am Sonntag“ per E-Mail: M. und Z. stünden regelmäßig in Kontakt via Skype-Telefonie. Z. sei „seit Juni 2014 seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr in vollem Umfang“ nachgekommen, seit Juni 2015 habe er sie ganz ausgesetzt. Daher habe sie, E., „eine berufliche Chance im Ausland wahrgenommen“. M. spreche bereits „fließend Englisch“ und habe „hier“ die Chance auf eine „hervorragende Ausbildung“. Wo „hier“ ist, blieb offen.

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 30.08.2015)


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