Zorro, der zornige Zahlvater

Scheiden tut weh – vor allem dem Mann, der seine Kinder kaum mehr sehen darf. Die Zahl unzufriedener Väter steigt. Sie spüren die Folgen der Frauenemanzipation am eigenen Leib und formieren sich zum Widerstand.

August 2005

Der Maskierte löst sich vorsichtig aus dem nächtlichen Schatten des Aarehangs, lautlos huscht er durch die Parkanlage zum Bundeshaus. Es beginnt zu regnen. Der flache Filzhut hält den Tropfen nicht stand, vom geklebten Schnurrbart löst sich der Leim. Der Maskierte hastet die Stufen zur Bundesgasse hoch. Vor dem Hauptportal erklimmt er die Bronzefigur des greisen Chronisten, schwingt sich am Seil über die Pforte und entrollt ein Transparent: «Väter müssen draussen warten.» Für die Kameras zieht er den Degen zur Pose. Noch bevor die Feuerwehr eine Leiter stellt, ritzt er sein Zeichen in den gelbgrauen Sandstein – das geschwungene Z von Zorro, dem zornigen Zahlvater.

Vorgestellt hat er sich das oft, wahr gemacht hat er es nie, der 45-jährige Scheidungsvater aus der Ostschweiz, der hier trotzdem Zorro genannt sein soll. Ins Phantasieren gebracht haben ihn die spektakulären Aktionen der mediengewandten britischen Vaterrechtler Fathers4Justice. Er erzählt von diesem ausrangierten Scheidungsvater, der als Batman verkleidet fünf Stunden an einem Balkon des Buckinghampalasts herumgeturnt ist.

Die Medien haben weltweit darüber berichtet. Auch über den anderen Superhelden, der in der Maske von Spiderman das Riesenrad London Eye lahmgelegt hat. Oben montierte er ein Transparent mit der Aufschrift «Im Namen des Vaters», weil er endlich seine Tochter sehen wollte. «Die tun wenigstens etwas und sitzen nicht nur jammernd herum», sagt Zorro. Er selber darf sein Töchterchen und den Buben nur noch jedes zweite Wochenende sehen. Und dafür reist er jeweils durch die halbe Schweiz.

«Dass in unserer Beziehung etwas nicht mehr stimmt, habe ich an einem Silvesterabend bemerkt», beginnt Zorro der Zahlvater seine Scheidungsgeschichte. «Alle haben sich zugeprostet, nur meine Frau hat gefehlt. Sie war am Telefon,und ich dachte: Hoppla.» Nachdem sie sich «diesen Freund» geangelt hatte, sei es nur noch bergab gegangen. Bald schon bat sie ihn, aus dem Familienhaus auszuziehen, Zorro quartierte sich vorübergehend bei einem Freund ein. Damals habe er noch gehofft, die Situation würde sich wieder entspannen. Doch sie hätten fast nur noch gestritten, vor allem um Geld. «Der reinste Basar», klagt Zorro. «Da wirst du aus dem gemeinsamen Heim gestellt, siehst deine Kinder kaum noch und sollst für all das auch noch bezahlen.» Der Kontakt brach vorübergehend ganz ab. «Es ist schwierig, mit deiner Frau zu reden, wenn sie dir als erstes immer gleich einen Einzahlungsschein auf den Tisch legt.»

Die empörten Schweizer Scheidungsväter werden neuerdings gehört, auch ohne tollkühne Heldentaten. Magazine veröffentlichen detaillierte Schicksalsberichte, im Internet tauschen sich Leidensgenossen aus, und in der Politik formiert sich langsam der Aufstand. Die bisher eher lokal im Hintergrund arbeitenden Vaterrechtsorganisationen wittern Morgenluft, die Interessengemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer (IGM), die Verantwortungsvoll erziehenden Väter und Mütter (VeV) oder in der Westschweiz das Mouvement de la condition paternelle. Neben den verhinderten Vätern versuchen sich vielerorts Väterinitiativen und Männergruppen in einer Kultur des gelebten Vaterseins. Sie heissen «Avanti Papi» oder «Hausmännernetz Winterthur», und auf ihren Homepages finden sich Newsletters von Michi und Fotoerinnerungen an die Hausmännerferien im Maggiatal.

Wurden die Frauenbewegten einst als «Kampflesben» beschimpft, so kämpfen heute die Männerbewegten gegen ihr Wollsockenimage. Mitte Juni 2005 traten 15 regionale Vätergruppen und Männerinitiativen mit dem Forum «männer.ch» an die Öffentlichkeit. Der Dachverband verfolgt nicht eine reine Klientelpolitik, das Ziel ist die «Geschlechterdemokratie», wofür man sich mit etablierten Stellen der Frauenpolitik vernetzt. Das hat die organisierten Scheidungsväter misstrauisch gemacht. Schliesslich erleben sie eine Frauenemanzipation, die nicht nur ohne die Männer, sondern vor allem gegen sie verläuft.

Wenn Elternschaft aufgeteilt wird, muss der Mann beweisen, was für ein guter Vater er ist. Von der Frau wird nichts Vergleichbares erwartet. Und wenn sie es will, reduziert sich das Vaterdasein auf Wochenendbesuche und Unterhaltszahlungen.

Kein Wunder, dass die Schicksalsgemeinschaft der unzufriedenen ledigen oder geschiedenen Väter wächst. Im Landesmittel liegt die Scheidungsrate mittlerweile bei 44 Prozent. In fast der Hälfte der Scheidungen sind unmündige Kinder im Spiel, im Jahr 2004 waren es rund 13 700. Anders als etwa in Deutschland, Frankreich oder England geht in der Schweiz das alleinige Sorgerecht für Kinder unverheirateter oder geschiedener Eltern in der Regel an die Mutter. Erst seit Anfang 2000 ist das gemeinsame Sorgerecht überhaupt gesetzlich möglich, allerdings nur, wenn beide Elternteile dies wünschen; es wird heute etwa bei einem Viertel aller unmündigen Scheidungskinder gesprochen. Fachleute schätzen, dass bloss jeder sechste Scheidungsvater das Recht zur Mitsprache an den Belangen seiner Kinder behält, und dass jeder zweite den Kontakt zu den Kindern mit der Zeit ganz verliert.

Zorro empfindet es als eine unnötige Demütigung, dass ihm der Staat das Recht auf das Vatersein einfach aberkannt hat. «Es kam, wenn nicht gerade einer Kriminalisierung, so doch einer Art Schuldzuweisung gleich. Man nimmt mir etwas weg, weil ich offenbar nicht genügt habe.» Dabei war seine Ehe keine «konventionelle», wie er es ausdrückt: «Ich habe jahrelang die Kinder jeden Morgen aufgenommen und ihnen das Frühstück gemacht.» Doch seine Frau gab ihm nach der Trennung schriftlich Bescheid, dass sie das gemeinsame Sorgerecht für keine gute Idee halte. Ihr Argument: die «gestörte Kommunikation» zwischen ihnen. Eigentlich habe der Bub damals bei ihm bleiben wollen, sagt Zorro. Sein Anwalt habe ihn dazu ermuntert, diesen Punkt ebenfalls schriftlich festzuhalten. Doch Zorro wollte den Konflikt nicht noch anheizen. «Ich hätte meine Kinder womöglich gar nicht mehr gesehen.»

Solche Auseinandersetzungen, meint der 40-jährige Schwyzer CVP-Nationalrat und Rechtsanwalt Reto Wehrli, könnten bis zur Erpressung ausarten: «Ein Elternteil wird entsorgt und ist auf Jahre hinaus auf den Goodwill des andern angewiesen.» Selber ledig und von seinem Kind getrennt lebend («bei uns läuft das problemlos»), hat Wehrli vor Jahresfrist einen parlamentarischen Vorstoss eingereicht, der das gemeinsame Sorgerecht für unverheiratete und geschiedene Eltern als Regelfall vorschlägt. Mitunterzeichnet haben Parlamentarier aus allen politischen Lagern, vom wertkonservativen Toni Bortoluzzi aus der SVP bis zur jungen Sozialdemokratin Pascale Bruderer.

Gegen den Vorstoss kämpft die 42-jährige Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr. «Das gemeinsame Sorgerecht ist aus Sicht des Kindeswohls nicht angebracht», findet die verheiratete Mutter zweier Kinder. Es führe bloss dazu, dass sich der Streit der Eltern nach einer Scheidung unnötig fortsetze – über Wohnort, Schulbelange, Krippenplatz bis zum Musikunterricht: «Da kann der Mann der Frau die Hölle heiss machen.» Jahrzehntelang also haben Frauen nach dem treusorgenden Vater gerufen, und jetzt, da die Männer ansheinend ihr Vaterherz entdecken, werden sie wieder an die traditionelle Ernährerrolle erinnert? «Es sind immer noch grösstenteils die Frauen, die sich um die Kinder kümmern», entgegnet Fehr. «Das Kernproblem liegt nicht beim Sorgerecht, sondern in der Arbeitswelt, die Debatte wird somit am falschen Objekt geführt.»

Ganz anders sieht das ihre 33-jährige Parteikollegin Chantal Galladé, ebenfalls Nationalrätin aus Zürich und ledige Mutter eines Kleinkindes. Sie findet es unsinnig, dass das geltende Recht ausgerechnet diejenigen Väter bestraft, die sich um ihre Kinder kümmern. Galladé erklärt die Meinungsdifferenz unter Sozialdemokratinnen zur Generationenfrage: «Die Frauengeneration, die sich die gleichen Rechte erkämpfen musste, geht noch immer vom Bild der allüberall benachteiligten Frau aus, die es zu schützen gilt.» Dieser Kontrast ist bemerkenswert. Bemerkenswert ist aber auch, dass es ausgerechnet die Verbitterung der Scheidungsväter ist, die als erstes Wetterleuchten einer möglichen Männeremanzipation am Horizont aufblitzt. Nicht etwa fehlende flexible Arbeitszeitmodelle bringen die Männer in Bewegung, nicht das ungleiche Rentenalter oder die strikt feminisierte Früherziehung. Keine gewichtige Stimme verlangt, die Ursachen der auffällig geringeren Lebenserwartung der Männer systematisch zu erforschen. Und den Militärdienstzwang akzeptiert die Männermehrheit widerspruchslos – sogar die Ersatzabgabe, die mit abnehmendem Armeebestand mehr und mehr zu einer zweiten direkten Bundessteuer verkommt.

Erst am gerichtlich regulierten Beziehungsstreit reiben sich die Männer – wenn es zu spät ist und die stereotype Täterkarikatur des liederlichen und potentiell gewalttätigen Mannes sich im Privaten gegen sie wendet. Dann beansprucht der entsorgte «Spasswochenend-Vater» auf einmal selber Opferstatus. Er leidet, und das offenbar nicht zu knapp. Jedenfalls wird der Gesundheitszustand geschiedener Männer in Fachkreisen unisono als bedenklich beschrieben. Frauen scheinen eine Scheidung – die ja mehrheitlich von ihnen ausgelöst wird – meist besser zu überstehen.

Zorro der Zahlvater kommt zum Tiefpunkt seiner Leidensgeschichte: «Ich habe über Monate hinweg kaum noch geschlafen, und bei der Arbeit ist es kritisch geworden.» Seine Frau hatte mit den Kindern schon bald nach der Trennung nicht nur das Familienhaus verlassen, sondern gleich auch den Kanton. Zorro stand vor vollendeten Tatsachen und zog schliesslich zurück ins leere Haus, «mit all diesen Erinnerungen». Versuche, dem Heim den alten Geruch zu nehmen, sind fehlgeschlagen. «Als ich das Kinderzimmer streichen wollte, habe ich gemerkt, dass ich gerade im Begriff war, die Spuren meiner Kinder zu entfernen – ihre Kritzeleien an den Wänden, die fluoreszierenden Sternchen an der Decke. Da kam der Zusammenbruch.»

Zorros Scheidungsgeschichte ist unspektakulär, fast schon alltäglich. Keine Kindsentführung, kein Missbrauchsvorwurf, keine Besuchsrechtsvereitelung und schon gar nicht Gewalt oder Amok, nur schlicht das traurige «konventionale» Ende einer Ehe. Zorro kann heute nicht mehr mitreden, wenn seine Kinder von ihren neuen Gespänli berichten, und er hört weg, wenn sie den jeweiligen Lebenspartner ihrer Mutter erwähnen. Überhaupt entgleiten ihm seine Kinderwochenenden, seit es den Bub am Sonntag mit den Junioren aufs Fussballfeld zieht.

Zorro fühlt sich oft überflüssig und leer. Es sei diese Ohnmacht, sagt er, die ihn manchmal auf die absonderlichsten Ideen bringe. Neulich etwa, als er auf dem Dachboden den Koffer mit den alten Fasnachtsklamotten fand. Das Biene-Maja-Kostüm, in dem das Töchterchen so lustig ausgesehen hat, und die zerzauste Federnhaube, er kann den Buben darunter noch förmlich riechen. Auch sein eigenes Kostüm mit Hut, Degen und Maske, alles noch da. Sogar der alberne Schnurrbart, der nie richtig kleben wollte.

(Von Martin Senti, NZZ)


NZZ.ch


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