Obergericht Zürich

Obergericht des Kantons Zürich
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Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich
Sitzung vom 2. Februar 2011
106. Strafverfahren gegen Beamte; Zuständigkeit

A. Ausgangslage

Gemäss Art. 309 und 310 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) ist die Staatsanwaltschaft für die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung zuständig. Die Kantone können aber vor sehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt (Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO).
Im Kanton Zürich entscheidet gemäss § 148 des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG, LS 211.1) über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 des Strafgesetz buches (StGB, SR 311.0) wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen das Obergericht. Vorbehalten bleibt die Zuständigkeit des Kantonsrates zur Erteilung einer Ermächtigung zur Verfolgung von im Amt begangenen Verbrechen und Vergehen von Mitgliedern des Regierungsrates, des Obergerichts, des Verwaltungsgerichts und des Sozialversicherungsgerichts (vgl. § 38 Abs. 1 Kantonsratsgesetz, KRG; LS 171.1). Obwohl Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO nur von der «Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde» spricht, betrachtete es der Gesetzgeber als zulässig, hier auch eine richterliche Ermächtigungsbehörde vorzusehen. Es gehe hier nur um das Feststellen des Anfangsverdachts nach rechtlichen Gesichtspunkten, nicht um einen Entscheid nach Opportunitätsgründen. Somit werde die Möglichkeit von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO nicht vollständig ausgeschöpft (ABl 2009, 1632).

B. Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich
vom 21. Januar 2011 betreffend Eröffnung einer Strafuntersuchung
gegen Beamte (§ 148 GOG) (TB110010-O-U)

Das Obergericht des Kantons Zürich trat mit Beschluss vom 21. Januar 2011 auf das Gesuch der Oberstaatsanwaltschaft um Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte nicht ein. Das Obergericht erwog, dass mit § 148 GOG kein Ermächtigungsverfahren im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO geregelt werden sollte, in dem die Ermächtigung aus zureichenden politischen Gründen verweigert werden könne, auch wenn sie unter rein strafrechtlichen Gesichtspunkten angezeigt wäre, sondern bloss eine abweichende sachliche Zuständigkeit des Obergerichts zur Eröffnung von Strafuntersuchungen gegen Beamte und Behördenmitglieder. Eine solche Regelung verstosse gegen die bundesrechtlichen Vorschriften von Art. 309 und 310 StPO und sei daher nichtig. Gemäss Art. 309 und 310 StPO sei alleine die Staatsanwaltschaft zuständig, um über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung zu entscheiden. Dies gelte bis auf Weiteres für sämtliche Verfahren gegen Beamte und Behördenmitglieder im Kanton Zürich, jedenfalls solange der kantonale Gesetzgeber keine Bestimmungen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO erlasse. Dieser Entscheid des Obergerichts ist nicht rechtskräftig; die Oberstaatsanwaltschaft wird ihn beim Bundesgericht anfechten.

C. Übergangsregelung

Nachdem das Obergericht auf Gesuche um Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB nicht eintritt, ist im Sinne einer Übergangsregelung zu bestimmen, wie bis zum Entscheid des Bundesgerichts über die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft zu verfahren ist, um sicherzustellen, dass die betreffenden Verfahren weitergeführt werden können. Wie dargelegt ist die Staatsanwaltschaft für die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung zuständig (Art. 309 und 310 StPO). Es erscheint sinnvoll, bei Strafverfahren gegen Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB aufseiten der Staatsanwaltschaft (einstweilen) die Oberstaatsanwaltschaft mit dem Entscheid über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung zu betrauen. Vorbehalten bleibt die Ermächtigung gemäss § 38 Abs. 1 KRG. Einerseits wird damit eine einheitliche Praxis sichergestellt. Anderseits betreffen Strafanzeigen gegen Beamte und Behördenmitglieder häufig Polizistinnen und Polizisten, gelegentlich auch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Mit der Übertragung des Entscheides über die Eröff-
nung oder die Nichtanhandnahme der Untersuchung an die Oberstaatsanwaltschaft wird in solchen Fällen Distanz zwischen Entscheidungsorgan und beschuldigter Person geschaffen. Während die Eröffnung einer Strafuntersuchung nicht anfechtbar ist (Art. 309 Abs. 3 StPO), kann gegen die Nichtanhandnahme Beschwerde beim Obergericht erhoben werden (Art. 310 StPO in Verbindung mit Art. 322 Abs. 2 StPO und § 49 GOG). Diese Regelung gilt – im Falle einer Gutheissung – bis zum Entscheid des Bundesgerichts über die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Obergerichts vom 21. Januar 2011. Sollte sich § 148 GOG endgültig als bundesrechtswidrig erweisen, wird zu prüfen sein, ob der Entscheid über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme endgültig der Oberstaatsanwaltschaft zu übertragen ist. Bis zu einer endgültigen Regelung soll die Oberstaatsanwaltschaft für die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB zuständig bleiben.


Auf Antrag der Direktion der Justiz und des Innern beschliesst der Regierungsrat:

I. Die Oberstaatsanwaltschaft entscheidet über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB. Vorbehalten bleibt die Zuständigkeit des Kantonsrates.

II. Diese Regelung gilt
a. im Falle einer Gutheissung der Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 21. Januar 2011 betreffend Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Beamte (§ 148 GOG) (TB110010-O/U) bis zum Entscheid des Bundesgerichts;
b. in den anderen Fällen, bis feststeht, dass § 148 GOG bundesrechtswidrig ist und eine daraufhin zu erlassende definitive Regelung in Kraft tritt.
III. Veröffentlichung im Amtsblatt.
IV. Mitteilung an die Direktion der Justiz und des Innern und an das Obergericht des Kantons Zürich.

Vor dem Regierungsrat
Der Staatsschreiber:

Husi



Möglichkeit eines kantonalen Strafverfolgungsprivilegs

Art. 7 Abs. 2 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) räumt den Kantonen die Möglichkeit ein, in ihrer Gesetzgebung ein sogenanntes «Strafverfolgungsprivileg» für Behördenmitglieder vorzusehen. Ein derartiges Privileg macht die Strafverfolgung gegen diese aufgrund im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von einer vorgängigen Ermächtigung abhängig.

Weiteren betonte das Bundesgericht, dass bei vorhandenem Strafverfolgungsprivileg die dafür zuständige Behörde lediglich einen Ermächtigungsentscheid fälle. Die Eröffnung oder Nichtanhandnahme liege in jedem Fall gemäss Art. 309 f. StPO im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft.

Eine interessante Klarstellung traf das Bundesgericht in seiner Erwägung 2.4. Nach seiner bisherigen Rechtsprechung (zuletzt bestätigt in BGE 135 I 113, S. 115, siehe Verweise dort) durften bei einem Ermächtigungsverfahren nebst strafrechtlichen Kriterien auch politische Überlegungen berücksichtigt werden. Im vorliegenden Entscheid präzisierte das Bundesgericht, dass dieser Grundsatz nur für Mitglieder der obersten kantonalen Behörden gelte. Beim übrigen Staatspersonal sei kein Platz für Opportunitätsüberlegungen aus staatspolitischer Sicht. Dies würde vor dem Rechtsgleichheitsgebot nicht standhalten und stünde zudem im Widerspruch zu den für Bundesbeamte geltenden Bestimmungen (Art. 15 Abs. 3 Verantwortlichkeitsgesetz). Bei diesen darf die Ermächtigung nur verweigert werden, wenn es sich um einen leichten Fall handelt und eine disziplinarische Massnahme die Tat des Fehlbaren bereits als genügend geahndet erscheinen lässt.


Weitere Informationen folgen…


"Wenn Unrecht zu Recht wird, wird WIDERSTAND zur Pflicht!"