Mutter will Kind verwechselt haben


Eine geistig gestörte Frau hat 2013 in Wiesendangen ZH einen sechsjährigen Kindergärtner mit einem Messer die Lippe durchtrennt. Vor Gericht sprach die inhaftierte nun von einem Unfall.

Es war am 26. Juni 2013, als am Morgen eine Frau vor einem Kindergarten in Wiesendangen auftauchte. Sie packte vor dem Eingang plötzlich einen sechsjährigen Kindergärtner am Nacken und führte ihm ein spitzes Messer vor das Gesicht. Dann schnitt sie dem überraschten Kind ins Gesicht und durchtrennte ihm die Oberlippe.

Danach folgten dramatische Szenen: Der Knabe rannte blutüberströmt und nach Hilfe suchend zu seiner Kindergärtnerin. Mit ihm ein weiterer Kindergärtner, der den Angriff hautnah miterlebt hatte. Dieses Kind konnte kurz darauf – begleitet von seinen Aufsichtspersonen – die apathisch wirkende Täterin in der Nähe des Tatortes wiedererkennen. Die heute 29-jährige Brasilianerin wurde kurz darauf von der Polizei festgenommen und sitzt seither im Gefängnis.

Kleine Verwahrung in Winterthur

Im Mai erschien die Frau beim Winterthurer Bezirksgericht. Damals verweigerte die Südamerikanerin, abgesehen von einer ersten, nicht verwertbaren Darstellung, jegliche Aussage und stellte die Attacke in Abrede. So sah das Bezirksgericht aufgrund der glaubhaften Darstellungen des verletzten Kindes und weiteren Belastungszeugen die Körperverletzung als erwiesen an.

Aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens sah das Gericht von einer Schuldfähigkeit sowie einer Strafe ab. So ging der zuständige Psychiater von einer Tat im Zusammenhang mit einer schweren psychischen Störung der Frau aus. Mit der Folge, dass die Richter eine stationäre Massnahme und damit die kleine Verwahrung der Brasilianerin festsetzten. Die nicht nachvollziehbare Tat sei rational schlicht nicht zu erklären, befanden sie.

Neu Verwechslung und Unfall geltend gemacht

Eine unterdessen ersetzte Verteidigung legte Berufung ein und rollte am Freitag vor dem Zürcher Obergericht den Fall neu auf. Demnach legte die Beschuldigte erstmals ein umfassendes Geständnis zum äusseren Sachverhalt ab. «Es tut mir unendlich leid», führte die Beschuldigte aus und machte einen Unfall geltend.

So habe sie den Wiesendanger Kindergarten ihres damals sechs-jährigen Sohnes aufgesucht und ihm ein Geschenk einer Comic-Figur überreichen wollen. Hintergrund des Besuchs bildete die Tatsache, dass die Winterthurer Behörden der allein erziehenden Frau bereits Ende 2009 ihr Kind entzogen und ihr das Sorgerecht abgesprochen hatten. «Meine Mandantin wollte sich von ihrem geliebten Sohn nur noch verabschieden», plädierte die Verteidigerin vor Obergericht.

Dabei habe sie ihren Sprössling mit einem anderen Kindergärtner verwechselt und mit einem Messer die Verpackung des Spielzeugs aufschneiden wollen. Dabei habe sie aus Versehen den sechsjährigen Buben an der Oberlippe verletzt. Deshalb sei ihre grundsätzlich schuldfähige Klientin lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung mit einer bedingten Geldstrafe zu bestrafen, führte sie aus. Damit sei die Beschuldigte sogleich aus einer laufenden geschlossenen Psychotherapie zu entlassen.

Noch kein Urteil

Das Obergericht kam am Freitag aufgrund des verzwickten Falles noch zu keinem Urteil. Der Gerichtsvorsitzende Christoph Spiess führte aus, dass zunächst geklärt werden soll, ob ein Vorsatzdelikt oder bloss ein Unfall vorliege. Bei einer Vorsatztat sei zudem die Schuldfähigkeit und der psychische Zustand der beschuldigten Mutter erneut zu überprüfen.

Diese war 2002 in die Schweiz eingewandert und hatte fünf Jahre später einen Schweizer Staatsangehörigen geheiratet. Allerdings war diese Ehe kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zerbrochen. Seither stritten sich die Eltern um das Sorgerecht für das Kind. Wann das Obergericht einen Entscheid fällt, ist noch unklar. So lange bleibt die Beschuldigte in einer geschlossenen Anstalt.
Von Attila Szenogrady.


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