Mit Scheinwohnsitzen und falschen Angaben zu Liegenschaften werden Ergänzungsleistungen erschwindelt. Jetzt will der Bund die Kontrollen verschärfen.
SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi ist überzeugt: «Bei den Ergänzungsleistungen wird beschissen.» Solche Zustüpfe zu AHV und IV stehen nur Personen zu, die in der Schweiz wohnen. Zieht jemand ins Ausland, verfällt – anders bei den AHV- und IV-Renten selbst – der Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL). Immer wieder werden aber Fälle publik, in welchen EL-Bezüger nur auf dem Papier hier wohnen.
Zum Beispiel Azem Syla. Der Kosovare liess sich in seiner Heimat gar ins Parlament wählen, während er in der Schweiz EL bezog. Und Syla ist kein Einzelfall. Die «Weltwoche» berichtete über einen Serben, der in seiner Heimat eine Garage betrieb und als Gemeindepräsident amtete, obwohl er offiziell im solothurnischen Zuchwil gemeldet war und dort Ergänzungsleistungen bezog.
Jetzt will Bortoluzzi die Kontrollen verschärfen. «Der Bundesrat wird beauftragt, die Missbrauchsbekämpfung in der Ergänzungsleistung konsequent an die Hand zu nehmen und den kantonalen Durchführungsstellen Mindeststandards vorzugeben», verlangt eine Motion, die der SVP-Nationalrat in der gestern zu Ende gegangenen Herbstsession eingereicht hat.
Nebst dem Schwindel mit dem Wohnort zielt Bortoluzzi auf falsche Angaben zum Vermögen im Ausland. Etliche EL-Bezüger verschweigen nämlich, dass sie ausländische Liegenschaften besitzen. Oder sie deklarieren diese nicht richtig. Dadurch erscheint ihr Vermögen auf dem Papier weniger hoch, was zu einer besseren Rente führt.
Wie bei der IV
Das Verschweigen solcher Liegenschaften kann matchentscheidend sein. Nehmen wir zum Beispiel ein Ehepaar mit einem Haus im Wert von 300 000 Franken und lediglich einer AHV-Rente von monatlich 2500 Franken. Unterschlägt es das Haus, kriegt es jährlich gegen 20 000 Franken an Ergänzungsleistungen. Gibt es das Haus an, wird ein Vermögensverzehr von einem Zehntel angerechnet, wodurch das Ehepaar keine EL-Rente erhält.
«Heute lohnt es sich, Liegenschaften zu verschweigen und mit einer Schweizer Pro-forma-Adresse Ergänzungsleistungen zu erschleichen», moniert Bortoluzzi. Wie bei der Invalidenversicherung (IV) müsse man jetzt strenger kontrollieren. Auch dort habe man einst gesagt, es gebe kaum Missbräuche. Das genaue Hinsehen habe aber viel gebracht. Allein 2013 liessen sich Renten im Umfang von 170 Millionen Franken einsparen.
Eine solche Entlastung könnte auch die EL-Rechnung gut gebrauchen. Die Kosten haben sich nämlich seit dem Jahr 2000 von 2,3 auf 4,5 Milliarden Franken verdoppelt. Darin sind die Krankenkassenprämien, welche der Staat für Ergänzungsleistungsbezüger übernimmt, noch nicht berücksichtigt. Zählt man auch sie hinzu, sind die Kosten gar von 2,9 auf 6,0 Milliarden Franken gestiegen. Zum Vergleich: Verteidigungsminister Ueli Maurer stehen für die Armee derzeit 4,4 Milliarden zur Verfügung.
Angesichts derart hoher EL-Kosten hat der Bundesrat im Juni Massnahmen angekündigt. Er will den Bezug von Pensionskassenkapital unterbinden – und zwar sowohl beim Hauskauf als auch bei der Unternehmensgründung und bei der Pensionierung. Die Idee dahinter: Je weniger Pensionskassenkapital angetastet wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einst Ergänzungsleistungen bezieht. Die Ankündigung löste aber einen gewaltigen öffentlichen Aufschrei aus. Und so steht der Bundesrat nun unter Druck, auch andere Sparmöglichkeiten zu verfolgen. Zum Beispiel verstärkte Kontrollen.
Dies hält Martin Kaiser für überfällig. Der einstige stellvertretende Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) ist heute beim Arbeitgeberverband für die Sozialpolitik zuständig. Und für ihn ist klar, dass der Bund Vorgaben machen muss. Heute kontrolliere jeder Kanton, wie er es für gut befinde – der eine besser, der andere schlechter. Es brauche aber «ein einheitliches Konzept», findet Kaiser. Spreche sich unter den EL-Bezügern herum, dass vermehrt kontrolliert werde, verfehle dies seine Wirkung nicht. Dann traue man sich weniger zu mogeln. Genau so sei es bei der IV gelaufen.
BSV will «mehr machen»
Auch das Bundesamt für Sozialversicherungen strebt «gesamtschweizerische Standards» an. Wie diese im Detail aussehen sollen, sei aber noch offen, sagt Mario Christoffel, der beim BSV für die Ergänzungsleistungen zuständig ist. Sicher sei, dass man «mehr machen» müsse. Da wäre zum Beispiel das europäische Formular E 601. Mit ihm können die Kantone bei anderen Ländern Auskünfte über dortige Einkommen und Vermögen einholen – auch über Liegenschaften. Davon wird aber kaum Gebrauch gemacht. Die Schweizerische Ausgleichskasse in Genf, über die solche internationale Begehren laufen, verzeichnet keine 20 Fälle pro Jahr.
Häufiger sind Anfragen zu ausländischen Renten. 282 waren es 2013, wobei diese fast ausschliesslich aus der Stadt Zürich und dem Kanton Aargau stammten. «Solche Rentenabklärungen zahlen sich aus», sagt Ernst Reimann, Direktor des Amts für Zusatzleistungen der Stadt Zürich. Jeder Franken, der so erfasst werden könne, sei ein gesparter Steuerfranken. Für weniger ergiebig hält Reimann dagegen die internationale Amtshilfe bei Immobilien. Auch bei Liegenschaften müsse man aber genau hinsehen. Bei den Italienern zum Beispiel seien fast alle an irgendeiner Immobilie beteiligt.
Hellhörig werden Reimanns Leute, wenn ein EL-Bezüger an einer einschlägigen Adresse gemeldet ist, «wo es fast mehr Hausglocken als Fenster hat», wie Reimann sagt. Dann überprüfe man etwa anhand von detaillierten Bankauszügen und manchmal auch mit Detektiven, ob der EL-Bezüger wirklich dort wohnt. Die Regeln wären klar: Wer sich mehr als drei Monate am Stück im Ausland aufhält, erhält bis zur Rückkehr keine EL mehr. Verbringt jemand gar mehr als sechs Monate im Ausland, verwirkt er den EL-Anspruch in diesem Kalenderjahr ganz.
Das BSV erwägt nun, die Regeln zu verschärfen und die Renten bereits nach dreimonatiger Abwesenheit ganz einzustellen. Auch möchte es die Mitwirkungspflicht der EL-Bezüger verstärken: Wer Auskünfte verweigert, soll die Einschätzung der Behörden akzeptieren müssen. Diese Anpassungen sollen in die EL-Reform einfliessen, deren Vernehmlassung für Anfang 2015 geplant ist.
Kantone gegen weitere Regeln
Christoffel betont, der Bund zahle seit der Neugestaltung des Finanzausgleichs rund 30 Prozent der EL-Kosten. Folglich dürfe er auch zusätzliche Vorgaben machen. Andreas Dummermuth, Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen, könnte darauf verzichten: «Die Ausgleichskassen haben sich für den Grundsatz der risikoorientierten Kontrolle ausgesprochen. Dazu braucht es keine zusätzlichen Regeln.» Die Kantone hätten das Missbrauchsproblem bei den EL erkannt, sagt Dummermuth. Und sie würden das Problem im Interesse der Steuerzahler auch angehen – in der Praxis, nicht auf dem Papier.
Toni Bortoluzzi hingegen fehlt das Vertrauen in die Kantone. Seiner Ansicht nach ist der EL-Missbrauch durch die Personenfreizügigkeit einfacher geworden, ohne dass die Kantone viel dagegen unternommen hätten. Das müsse sich jetzt ändern.