Das neue Unterhaltsrecht empört die Väter

Auch getrennt lebende Väter müssen künftig Unterhalt für ihre Ex-Partnerin zahlen. Männerverbände sind damit nur unter gewissen Bedingungen einverstanden.

Wir leben nicht mehr in einer patriarchalischen Gesellschaft. Deshalb wurde 1986 im neuen Eherecht der Passus, wonach der Mann «für den Unterhalt von Weib und Kind in gebührender Weise Sorge zu tragen hat» gestrichen und ersetzt: «Die Eltern verpflichten sich gegenseitig, das Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren und für die Kinder gemeinsam zu sorgen.» Unter diesem Motto wurde auch das Sorgerecht reformiert, das am 1. Juli in Kraft tritt: Neu wird die gemeinsame elterliche Sorge unabhängig vom Zivilstand zur Regel. Dafür haben die Männer zehn Jahre lang gekämpft.

Gestern kam nun das revidierte Unterhaltsrecht in den Nationalrat. Hauptanliegen der bundesrätlichen Vorlage und vieler Frauen ist, getrennte Eltern rechtlich mit den geschiedenen Eltern gleichzustellen. Künftig sollen auch getrennt lebende Väter nicht nur eine Kinderalimente, sondern auch einen Unterhaltsbeitrag für ihre Ex-Partnerin bezahlen. Das hat die grosse Mehrheit des Nationalrats gegen die Stimmen der SVP entschieden. Doch ausserhalb der Parlaments formt sich massiver Widerstand: Der Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisation Männer.ch überlegt sich, das Referendum dagegen zu ergreifen.

Gegenwind nur von der SVP

Da mittlerweile jedes fünfte Kind unverheiratete Eltern hat, wird die Revision zu einschneidenden finanziellen Folgen für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung führen. Für FDP, CVP, SP, Grüne und Grünliberale sowie Bundesrätin Simonetta Sommaruga standen dabei eindeutig die positiven Auswirkungen für die Mütter im Vordergrund. «Die Revision ist eine Folge des gesellschaftlichen Wandels, und deshalb soll die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter und unverheirateter Eltern beseitigt werden», sagte FDP-Fraktionschefin Gabi Huber. Gleicher Meinung waren auch die übrigen Parteien.

Nur die SVP sorgte für etwas Gegenwind. Der Aargauer SVP-Nationalrat Luzi Stamm warf die Frage auf, ob es wirklich gerechtfertigt sei, unverheiratete Väter gleichermassen zur Verantwortung zu ziehen – selbst dann, wenn das Kind aus einer flüchtigen Beziehung hervorgegangen sei. Er sprach zudem einen Punkt an, der auch den Männer- und Väterorganisationen Sorge macht: «Nach gesundem Menschenverstand ist es absehbar, dass wir mit dem neuen Kinderunterhaltsrecht grosses Chaos anrichten werden. Zigtausende von Betroffenen, Anwälten, Gerichtsmitarbeitern und Behördenmitgliedern werden sich fragen, was mit dem neuen Gesetz ohne brauchbare Richtlinien gemeint war.» Im Unterschied zu heute, wo der Mann im Scheidungs- und Trennungsfall rund 15 Prozent des Einkommens für das Kind bezahlen muss, heisst es im neuen Gesetz bloss: Jeder Elternteil sorgt «nach seinen Kräften» für den «gebührenden Unterhalt» des Kindes. Die SVP sieht das neue Unterhaltsrecht als «gefährlichen Angriff auf die Familie».

Es gibt aber auch politischen Widerstand aus gesellschaftlich fortschrittlichen Kreisen. Doch dieser wurde in der gestrigen Ratsdebatte fast gänzlich ausgeblendet. Die Schweizerische Vereinigung für gemeinsame Elternschaft (GeCoBi) und Männer.ch stossen sich daran, dass es keine verbindliche Regelung gibt, in welcher Form sich Väter an der Betreuung des Kindes beteiligen können. «Die Revision des Sorgerechts ist eine grossartige Gesetzgebung, sie erlaubt auch moderne Familienformen», schrieb die GeCoBi in ihrer Stellungnahme. «Aber noch bevor es so weit ist, droht mit den vorliegenden Unterhaltsrevision das Rad der Zeit wieder zurückgedreht zu werden.» Aus ihrer Sicht wurde gestern die Sorgerechtsreform faktisch wieder rückgängig gemacht. Die Walliser CVP-Nationalrätin Viola Amherd hatte dafür kein Gehör: «Wer in diesem Zusammenhang die Geschlechterfrage befeuert, ist auf dem falschen Dampfer.»

«Eine gerechte Verteilung»

Patrik Fassbind, Leiter der Stadtberner Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, wird künftig das Gesetz anwenden müssen. Er ist grundsätzlich von der Revision überzeugt. Denn das neue Unterhaltsrecht würde zu einer Beseitigung der bestehenden Diskriminierung von betreuenden Müttern führen, indem der zeitliche respektive finanzielle Betreuungsaufwand nicht mehr voll zu deren Lasten gehen soll. «Es geht also um eine gerechte Verteilung der Betreuungskosten», so Fassbind. Gleichzeitig sollen sich aber Väter als Gegenleistung verstärkt am Alltag der Kinder zu beteiligen können. Entsprechend würde sich der Kindesunterhaltsbeitrag reduzieren. Fassbind geht davon aus, dass trotz fehlender Regelung im Unterhaltsrecht die Gerichte und Kindesschutzbehörden auch gegen den Willen der Mutter dem erziehungsfähigen Vater eine Mitbetreuungsverantwortung zugestehen werden.

Diese Einschätzung teilt Markus Theunert, Präsident Männer.ch, überhaupt nicht: «Die Erfahrung zeigt eindrücklich, wie traditionell und einseitig die Gerichte und Behörden funktionieren.» Deshalb werde Männer.ch mit seinen Partnerorganisationen diskutieren und alle Optionen prüfen. «Dazu gehört auch ein Referendum.»

Gemäss Auskunft des Obwaldner CVP-Nationalrats und Kommissionssprechers, Karl Vogler, kommt die Revision aller Voraussicht im Herbst in den Ständerat und wird anschliessend in den Winter- und Frühlingssessionen bereinigt. «Wird dagegen nicht das Referendum ergriffen, könnte das neue Unterhaltsrecht frühestens Anfang 2016 in Kraft treten.»

(Tages-Anzeiger)


Tagesanzeiger.ch


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