Familienrecht: Es braucht keine modischen Neuerungen

Im Familienrecht sind nicht grosse Würfe gefragt, sondern lebensnahe Neuerungen. Schon diese können beträchtliche Auswirkungen haben – wie das neue Unterhaltsrecht auf ledige Väter.

Vor gut zwei Jahren entbrannte in der Schweiz eine heftige Diskussion um Ehe und Familie. Das Ganze hatte eigentlich harmlos begonnen: Das Parlament wollte vom Bundesrat wissen, wie er sich die Zukunft des Familienrechts vorstelle. Der Bundesrat holte daraufhin mehrere Gutachten in der Rechtslehre ein, wie das üblich ist. Eines dieser Gutachten, verfasst von einer Basler Professorin, war allerdings ziemlich unüblich: Es enthielt derart viel Zunder, dass eine sachliche Debatte von vorneherein verunmöglicht wurde. Das Gutachten schlug vor, die Ehe in ihrer bisherigen Form mehr oder weniger aufzugeben und durch eine mit obligatorischen Rechtswirkungen ausgestattete «Lebensgemeinschaft» zu ersetzen – letztlich eine Art Zwangsehe für Männer, die ihre Partnerin nicht heiraten wollen. Der biologische Vater sollte rechtlich zurückgestuft werden, dafür sollte es neue «Formen» der Elternschaft geben. Auch die Anerkennung polygamer Gemeinschaften dürfe nicht länger ein Tabu sein, hiess es. Kurz: Im Familienrecht sollte kein Stein auf dem anderen bleiben.

Väter als Versorger

Nun, was ist aus diesen brisanten Ideen geworden? Man darf aufatmen: wenig bis nichts. Der Bundesrat legte dem Parlament zwar einen Bericht mit ein paar Verbesserungsideen vor, verzichtete aber wohlweislich darauf, die radikalen Reformpunkte aufzunehmen. Das Parlament selber schien plötzlich wenig interessiert daran, sich um die Zukunft des Familienrechts zu kümmern; der Bericht wurde in der Kommission diskutiert und dann abgeschrieben. Wenn man eine Lehre aus dem Geschehen ziehen will, dann diese: Man kann das Familienrecht nicht auf dem Papier neu entwerfen, mit forscher Hand, losgelöst von den bisherigen Traditionen, Gewohnheiten und Ritualen, die diesen Bereich so stark prägen. Die Ehe ist für zahlreiche Paare auch heute noch die bevorzugte Lebensform, das Leben als Familie gilt vielen immer noch als optimales Modell. Zwar hat sich die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen, Vätern und Müttern in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert, und das Recht sollte dem Rechnung tragen – dazu braucht es aber nicht den Zweihänder.

Auch wenn die Idee einer visionär-abgehobenen Gesamterneuerung von Ehe und Familie also vorerst vom Tisch ist, tut sich im Familienrecht doch einiges. Vor zwei Jahren wurde einem alten Anliegen von Männern entsprochen und das gemeinsame Sorgerecht für ledige und geschiedene Eltern eingeführt. Anfang 2017 nun folgt mit der Neuregelung des Kindesunterhalts der nächste Schritt. Diese Reform hat es in sich, sie ist ungleich einschneidender als das gemeinsame Sorgerecht und kann für zahlreiche Paare spürbare Folgen haben. Wie bei der elterlichen Sorge macht es nämlich auch bei den Unterhaltsansprüchen des Kindes fortan keinen Unterschied mehr, ob ein Elternpaar verheiratet ist oder nicht. Derjenige Elternteil, der das Kind zur Hauptsache betreut, hat gegenüber dem anderen einen Anspruch darauf, für die Betreuung entschädigt zu werden – das ist in der Praxis zumeist die Mutter. Sie soll sich dank diesem Geld dem Kind widmen können.

Für verheiratete Männer ist das nicht wirklich neu, gelten sie doch schon heute die Kinderbetreuung über den nachehelichen Unterhalt zugunsten der Ex-Frau ab. Für ledige Väter hingegen stellt die Regelung ein Novum dar. Anders als bisher müssen sie nicht mehr nur Alimente für das Kind bezahlen, sondern können neu auch dazu verpflichtet werden, die Kindsmutter zu unterstützen und ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig die sonst so gut organisierten und präsenten Männerorganisationen gegen diese tiefgreifende Änderung opponiert haben – immerhin werden die Väter damit von Gesetzes wegen in die Rolle des Versorgers gedrängt. Wie viel Geld ein lediger Vater seiner Ex-Freundin bezahlen und wie lange er sie unterstützen muss, dazu äussert sich das Unterhaltsrecht nicht; das Parlament hat die Klärung dieser Punkte den Gerichten überlassen. Orientiert man sich an dem, was heute für geschiedene Paare gilt, sieht es für ledige Väter eher düster aus. Das Bundesgericht verhält sich hier nämlich recht frauenfreundlich. So wird Müttern von kleinen Kindern prinzipiell keine Berufstätigkeit zugemutet und eine Teilzeitstelle erst dann, wenn das jüngste Kind zehn Jahre alt ist – dies aus der Überzeugung heraus, dass namentlich kleine Kinder am besten zu Hause aufgehoben sind.

Wenn bei Politikern eine Idee plötzlich im Trend liegt, heisst das noch nicht, dass auch die Bevölkerung den Sinneswandel mitträgt.

Damit hebt sich das höchste Gericht zwar wohltuend vom herrschenden Zeitgeist ab, wonach Kinder die berufliche Entfaltung der Eltern nicht stören dürfen und möglichst schon im Babyalter in Krippen abzugeben sind. Gleichwohl regen sich Zweifel, ob sich diese Regel mit dem neuen Unterhaltsrecht noch lange halten lässt. Zum einen ist die Grenze von zehn Jahren doch recht hoch angesetzt; besucht der Nachwuchs den Kindergarten, sollte eine Frau mindestens ein paar Stunden pro Tag arbeiten und sich einen Teil ihres Lebensunterhalts selber verdienen können. Zum andern überzeugt es nicht, wenn eine ledige Mutter, die mit dem Vater vielleicht nur flüchtig liiert war, jahrelang auf dessen Kosten leben kann, um sich um das gemeinsame Kind zu kümmern. Die Situation ist nicht vergleichbar mit jener einer verheirateten Frau, die im Vertrauen auf die Ehe ihren Beruf aufgegeben und die Kinder aufgezogen hat. Ehepaare sind Schicksalsgemeinschaften, über die Scheidung hinaus zur Solidarität verpflichtet, ungebundene Partner sind das nicht.

Wie sich das neue Unterhaltsrecht bewähren wird, hängt noch von einem anderen Punkt ab: der Obhut. Es gibt etliche Väter, die sich nicht nur am Wochenende, sondern gerne auch im Alltag mehr um ihr Kind kümmern und dafür der Ex-Partnerin weniger Unterhalt zahlen möchten. Auch hier hat das Bundesgericht bisher eher streng geurteilt und sich regelmässig für die Kontinuität des Familienmodells, wie es vor der Trennung gelebt wurde, ausgesprochen. Das heisst, dass ein Mann, der während der Ehe der Alleinverdiener war, diese Rolle nach der Scheidung kaum mehr loswird. Es ist zu hoffen, dass die Lausanner Instanz hier etwas flexibler wird und den ledigen oder geschiedenen Vätern, welche die Kinder im Wechsel mit der Mutter regelmässig bei sich haben wollen, mehr entgegenkommt.

Alles offen bei «Ehe light»

Bis das neue Unterhaltsrecht Konturen erhalten wird, wird noch einige Zeit vergehen. Im Parlament denkt man aber bereits über weitere familienrechtliche Änderungen nach, so über eine «Ehe light». Dem Bundesrat wurden entsprechende Vorstösse überwiesen, nun soll das Justizdepartement einen Bericht dazu erarbeiten. Wie diese neue Partnerschaftsform aussehen soll, darüber gehen die Meinungen indes stark auseinander. Die einen favorisieren ein Institut nahe am Konkubinat, aber ergänzt etwa mit dem Recht, den Partner im Spital zu besuchen. Die anderen tendieren zu einem verbindlicheren Modell, mit Folgen beispielsweise für die Altersvorsorge oder das Vermögen.

Ob aus diesen Plänen je etwas wird, ist ungewiss. Klar ist aber, dass jede zusätzliche Partnerschaftsform das Familienrecht weiter verkompliziert und deshalb einem wirklichen Bedürfnis der Menschen entsprechen soll. Generell möchte man dem Parlament beim Familienrecht Zurückhaltung empfehlen. Wenn bei Politikern eine Idee plötzlich im Trend liegt, heisst das noch nicht, dass auch die Bevölkerung den Sinneswandel mitträgt. Das Familienrecht braucht nicht der neusten Mode zu folgen, zumal sich diese wieder ändern kann. Vielmehr muss es auf lange Sicht funktionieren und Verlässlichkeit und Stabilität bieten. Und ganz sicher, um auf den Anfang zurückzukommen, soll es nicht Institute enthalten, die der Lebensanschauung der Bevölkerung in keiner Weise entsprechen.

Von Katharina Fontana


NZZ.ch


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