Die Gemeinde Spreitenbach drängte einen ausgesteuerten Mann dazu, bezogene Sozialhilfe und Steuerschulden aus seiner Pensionskasse zu zahlen. Er habe das freiwillig getan, beteuern die Verantwortlichen. Unter dem Druck eines Gerichtsprozesses zahlt die Gemeinde dem Mann jetzt aber Geld zurück.
Der Fall sorgte landesweit für Schlagzeilen: Die Gemeinde Spreitenbach drängte einen ausgesteuerten Mann dazu, sein Pensionskassenguthaben zu beziehen und mit dem Geld bezogene Sozialhilfe zurückzuzahlen sowie alte Steuerschulden zu tilgen. Rund 60’000 Franken wurden Hans M. (Name geändert) eingezogen.
Aussagen der Gemeinde für Experten unglaubwürdig
Experten kritisierten das Vorgehen der Gemeinde. Die Rückzahlung bezogener Sozialhilfe sei im konkreten Fall nicht zumutbar, befand Sozialversicherungsexperte Ueli Kieser im «Kassensturz». Der Mann habe freiwillig bezahlen wollen, rechtfertigte sich Spreitenbachs Gemeindepräsident Valentin Schmid. Doch diese Aussage war für Betreibungsrechtsexperte Felix Meier-Dieterle unglaubwürdig. Vor allem, weil die Gemeinde das Pensionskassenkonto des Mannes betreibungsrechtlich sperren liess. Ein seltsamer und aufwendiger Vorgang, wenn – wie die Gemeinde behauptet – der Mann freiwillig bezahlen wollte. Dazu kommt, dass laut Meier-Dieterle die verhängten zwangsrechtlichen Massnahmen widerrechtlich waren.
In der Folge forderte die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) die Gemeinde auf, Hans M. das Geld zurückzuzahlen. Doch die Gemeinde zeigte weder Einsicht noch Verhandlungsbereitschaft. Stattdessen liess Gemeindepräsident Valentin Schmid «Kassensturz» per richterlicher Verfügung verbieten, das mit ihm geführte Interview weiter auszustrahlen.
Gemeinde lenkt ein – unter dem Druck eines Prozesses
Am 10. April reichte der Anwalt der unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau im Namen von Hans M. Klage gegen die Gemeinde Spreitenbach ein. Dass ein Gericht über ihr Vorgehen urteilt, will die Gemeinde offenbar nicht riskieren. An seiner Sitzung vom 1. Juni hat der Gemeinderat entschieden, Hans M. den Betrag von 31‘827.30 Franken zurückzuzahlen. Das Geld ist seit wenigen Tagen wieder auf dem Konto des inzwischen 62-jährigen Hans M.
Ein Erfolg für Hans M. und für Andreas Hediger, Geschäftsleiter der UFS. Trotzdem bleibt für Hediger ein bitterer Nachgeschmack: «Wir haben schon vor einem Jahr mit Hinweis auf die geltenden gesetzlichen Bestimmungen die Gemeinde aufgefordert, Hans M. einen Teil seines Guthabens zurückzuzahlen. Aus unserer Sicht wäre der ganze Aufwand über eine Klage bei Gericht nicht nötig gewesen.»
In einer Stellungnahme hält der Gemeinderat daran fest, dass Hans M. die nicht bezahlten Steuern und die erhaltene Sozialhilfe ursprünglich ausdrücklich habe bezahlen wollen. Es sei ihm auch keine Sozialhilfe verweigert worden, weil Hans M. gar nie einen Antrag dafür gestellt habe. Auf Antrag von Hans M. auf eine rechtliche Überprüfung habe der Gemeinderat den Sachverhalt jedoch untersucht und aufgrund eines Formfehlers einen Teil der erhaltenen Zahlungen zurückerstattet.
Wie auch immer: Nach dem Beschluss des Gemeinderates hat sich Hans M. bei den Verantwortlichen schriftlich bedankt. Auch das Ausstrahlungsverbot gegen den «Kassensturz» ist in der Zwischenzeit vom Tisch. Es musste nur wenige Tage nach seiner Verhängung aufgehoben werden. Vom gleichen Gericht. (Gabriela Baumgartner und Charlotte Michel)