Ohne gemeinsame Erklärung (Entscheid der KESB)
Weigert sich ein Elternteil, die Erklärung über die gemeinsame Sorge abzugeben, so kann der andere Elternteil die KESB am Wohnsitz des Kindes anrufen (Art. 298b Abs. 1 ZGB).
Aktiv legitimiert sind Mutter und Vater des Kindes, die ein rechtliches Kindesverhältnis begründet haben. Eltern der Kinder, die nach dem 1. Juli 2014 geboren werden, sind an keine Fristen gebunden, in der sie den Antrag an die Behörde zu stellen haben. Dem gegenüber müssen Väter oder Mütter, deren Kinder vor dem 1. Juli 2014 geboren sind, sich bis zum 30. Juni 2015 an die KESB wenden und beantragen, die gemeinsame elterliche Sorge sei zu verfügen (Art. 12 Abs. 4 SchlT ZGB). Nach Ablauf dieser Frist steht ihnen der Weg in Ausnahmefällen offen, wenn sie veränderte Verhältnisse nachweisen können. Zwecks Abklärung der Verhältnisse kann die KESB oder eine von ihr beauftragte Stelle den anderen Elternteil oder beide Eltern zu einem Gespräch einladen, oder die KESB erkundigt sich beim anderen Elternteil schriftlich nach den Gründen, weshalb die gemeinsame Erklärung verweigert wird. Die KESB verfügt entweder die gemeinsame elterliche Sorge oder– sofern es das Kindeswohl erfordert– belässt das alleinige Sorgerecht bei der Mutter oder überträgt die elterliche Sorge dem Vater (Art. 298b Abs. 2 ZGB).
Die KESB ist m.a.W. nicht an den Antrag der anrufenden Partei gebunden; weicht sie aber vom Regelfall
der gemeinsamen Sorge ab, sind die Gründe hinreichend darzulegen. Wenn keine qualifizierten Gründe vorliegen, ist die gemeinsame Sorge auszusprechen. Unzumutbarkeit für einen Elternteil stellt für sich allein keinen Grund dar, von der Einräumung der gemeinsamen Sorge abzusehen.Oberste Richtschnur für den Entscheid der Behörde ist die Wahrung des Kindeswohls. Dieser Massstab ist jedoch erheblich eingeschränkt. Die Frage, ob gemeinsame oder alleinige elterliche Sorge einzuräumen ist, ist mit dem Anwendungsbereich von Art. 311 ZGB nicht deckungsgleich. Die Konstellationen von Art. 311 ZGB werden insb. durch die „qualifizierte Kooperationsunfähigkeit“ der Eltern sowie dem offensichtlichen Rechtsmissbrauch ergänzt.
Demnach werden also die praktisch relevanten Fragen lauten,
wie lange es dem Kind zugemutet werden kann,dass auf seinem Rücken ein Konflikt ausgetragen wird bzw. insb. ob einem derartigen Konflikt überhaupt mit einem alleinigen Sorgerecht begegnet werden kann.
Für das Verfahren vor der KESB gelten primär die allgemeinen Verfahrens bestimmungen gemäss Art. 314 ZGB i.V.m. Art. 443 ff. ZGB. Insbesondere sind die Rechte des betroffenen Kindes gebührend zu berücksichtigen, was zumindest dessen Anhörung erfordert (Art. 314a ZGB). In Einklang mit der bundesgerichtlich festgelegten Alterslimite soll ein Kind ab seinem 6. Altersjahr grundsätzlich angehört werden (BGE 131 III 553). Je nach Konstellation des Einzelfalles, insb. bei besonders strittigen Fällen oder bei sog. qualifizierter Kooperationsunfähig-keit, wird auch eine Vertretung des Kindes zu prüfen sein (Art. 314a bis ZGB). Dabei ist eine Zweiteilung des Verfahrens– Entscheid elterliche Sorge, Regelung der Nebenpunkte– denkbar. Die Eltern zu einem Mediationsversuch aufzufordern, erscheint ebenfalls prüfenswert (vgl. Art.314 Abs. 2 ZGB). In einem solchen Fall wäre das Verfahren während des Mediationsversuches zu sistieren, wobei sich im Vorfeld vorsorgliche Massnahmen beispielsweise für Kontaktregelung oder Obhut aufdrängen können. Wird gleichzeitig die Klage auf Abänderung des Unterhalts anhängig gemacht, so ist eine Verfahrenskoordination mit dem Gericht angezeigt, zumal die Unterhaltsbeiträge der Eltern nicht losgelöst von der Frage der Obhut oder Betreuungsanteilen beurteilt werden können. Ebenfalls abhängig davon ist das Zusprechen der Erziehungsgutschriften.
Beratungsauftrag der KESB (oder von ihr bezeichneten Stellen)
Die Eltern können sich vor der Abgabe der gemeinsamen Erklärung bei der KESB beraten lassen (Art. 298a Abs. 3 ZGB); auch urteilsfähige Kinder können sich bei Fragen an die KESB wenden.
Eine Delegation der Beratungstätigkeit an geeignete Stellen wie eine Elternberatungsstelle oder einen Sozialdienst im Auftrag der KESB ist möglich. Die Eltern sollen durch die Beratung befähigt und bestärkt werden, ihre Rolle als Eltern selbstverantwortlich wahrzunehmen und eine gemeinsame Erklärung abzugeben.
Entsprechend den Angaben des Bundesamtes für Statistik wurde das alleinige Sorgerecht
2010 in 93,1 %,
2009 in 92,6% und
2008 in 92,5%
der Fälle der Mutter zugesprochen.
- Im Jahr 2010 verzeichnete die Schweiz laut Bundesamt für Statistik (BfS) insgesamt 15358 Sorgerechts-Fälle von Eltern in Scheidung. Davon wurde 7002 Mal das gemeinsame Sorgerecht der Eltern ausgesprochen. In 7776 Fällen wurde zugunsten der Mutter entschieden. Der Vater erhielt 2010 580 Mal das Sorgerecht über das oder die Kinder.
- Im Jahr 2009 gab es in der Schweiz weniger Scheidungen bzw. Sorgerechts-Entscheide, nämlich deren 13255 an der Zahl. Hiervon 5432 für das gemeinsame elterliche Sorgerecht, 7707 für das Sorgerecht der Mutter und 616 für den Vater der Kinder.
- Im Jahr 2008 lag die Zahl der Sorgerechte für die Mütter mit 8254 wesentlich höher. 672 Mal wurde die Elternsorge dem Vater übertragen und 5137 galt die Sorge der Kinder gemeinsam für beide Elternteile.
- Im Jahr 2007 gab es das Kinder Sorgerecht bei Scheidung gemäss BfS 8846 Mutter, 4981 gemeinsam und 745 Vater.
- Im Jahr 2006 wurden noch deutlich mehr Sorgerechtsfälle der Mutter zugesprochen, nämlich 10450 Mutter Mal. In 4678 Fällen galt das gemeinsames Recht auf elterliche Fürsorge und bei 966 Fällen wurde dem Vater des oder Kinder das Recht zugesprochen.
- Im Jahr 2005 verzeichnen die den Müttern zugesprochenen Sorgerechtsfälle bislang den Spitzenwert seit 2000. Mit 10898 der Mutter der Kinder zugesprochenen elterlichen Sorge hat das Jahr 2005 den höchsten Wert. Die gemeinsame Vormundschaft wurde 4487 Male ausgesprochen und zugunsten des Vaters wurde in 935 Fällen entschieden.
Konferenz der Kantone für Kindes und Erwachsenenschutz KOKES