Umfang des persönlichen Verkehrs bei konflikthaften Elternverhältnissen. Der regionalen Übung zum Umfang des Besuchsrechts kommt bei dessen Ausgestaltung im Einzelfall eine gewisse Bedeutung zu, wobei indessen nicht allein darauf abgestellt werden kann. Oberste Richtschnur bildet immer das Kindeswohl, das anhand der konkreten Umstände zu beurteilen ist. Konflikte zwischen den Eltern sind kein Grund für eine Beschränkung des Besuchsrechts gegenüber dem Kind. Eine Beschränkung rechtfertigt sich einzig, wenn aufgrund der tatsächlichen Umstände davon auszugehen ist, dass die Gewährung des üblichen Besuchsrechts das Kindeswohl gefährdet. M.a.W. darf das Besuchsrecht nicht eingeschränkt werden, sofern das Verhältnis des Kindes zum besuchsberechtigten Elternteil gut ist – auch wenn zwischen den Eltern Spannungen bestehen. Eine Einschränkung ist jedoch zulässig, wenn das Kind in einen Loyalitätskonflikt gerät; solche Konflikte sind jedoch nicht leichthin anzunehmen. Loyalitätskonflikte stellen keineswegs eine geradezu notwendige Begleiterscheinung elterlicher Trennung dar und eine Beschränkung des Besuchsrechts erscheint insoweit ohnehin als wenig geeignete Massnahme. Tatsache ist, dass sich die meisten Kinder eine harmonische Beziehung zu beiden Elternteilen, aber auch eine Versöhnung bzw. eine Wiedervereinigung der Eltern wünschen. Daran ändern besuchsrechtliche Restriktionen nichts. Zudem überwiegen die positiven Aspekte regelmässiger Besuche beim anderen Elternteil (namentlich Erleichterung der Trennungsverarbeitung, Ergänzung der Erziehungsstile, Identifizierungsmöglichkeit, Steigerung des Selbstwertgefühls, Beratungsmöglichkeit in der Pubertät und später bei der Berufswahl) die negativen (anfängliche Beunruhigungen und mögliche Belastungen). Ferner kann die ungestillte Sehnsucht nach dem abwesenden Elternteil auf die Dauer schädlichere psychische Auswirkungen zeitigen, insbesondere wenn sich das Kind ein ideales Bild vom betreffenden Elternteil aufbaut. Die Forschung hat im Übrigen ergeben, dass Besuche, wenn sie richtig angelegt und einige Zeit durchgeführt werden, eine entspannende Wirkung gerade bei Konfliktsituation haben können, indem sich deren Auswirkungen bei jedem Besuch mehr und mehr verringern.
BGE 131 III 209 (= 5C.199/2004 vom 19. Januar 2005)
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