«Der Rücktritt mit 65 ist legitim»


Nach 15 Jahren tritt SP-Regierungsrat Claudius Graf-Schelling am 31. Mai zurück. Dass er die ganze Zeit Vorsteher des Departements für Justiz und Sicherheit blieb, habe ihm Schnauf für die vielen Reformen in seiner Zuständigkeit gegeben.
CHRISTOF WIDMER

Herr Graf-Schelling, fällt es Ihnen leicht, nach 15 Jahren loszulassen?

Claudius Graf-Schelling: Es gibt zwei Seiten. Auf der einen Seite habe ich 15 Jahre intensiv gearbeitet und auf vieles verzichtet. Die Familie musste etwas zurückstecken. Mit dem Rücktritt habe ich jetzt die Perspektive, einiges zu machen, was ich vorher nicht tun konnte.

Und die andere Seite?

Graf-Schelling: Wenn man 15 Jahre dem gleichen Departement vorgestanden hat, ist es nicht einfach, loszulassen. Ich habe hier viele liebe und arbeitsfreudige Menschen kennengelernt, auf die ich zählen kann.

Ihre Rücktrittsankündigung kommt ein Jahr nach jener von Bernhard Koch. Gibt es also doch eine in der Regierung abgesprochene Staffelung der Rücktritte von Ihnen, Bernhard Koch und Kaspar Schläpfer?

Graf-Schelling: Die Frage lautete: Trete ich im Mai 2015 zurück oder trete ich 2016 nicht mehr zur Wiederwahl an. Bei diesem Entscheid hatte ich alle Freiheiten. Ich habe mich für diese Variante entschieden, weil der Rücktritt mit 65 und nach 15 Jahren Amtszeit legitim ist. Ich halte es für angemessen, wie alle anderen mit 65 in Pension zu gehen.

Ihr Rücktritt war also ein rein persönlicher Entscheid und folgt keiner Absprache im Regierungsrat?

Graf-Schelling: Das war ein rein persönlicher Entscheid. Das Ziel, die Rücktritte aus dem Regierungsrat zu staffeln, ist mit dem Rücktritt von Bernhard Koch vor einem Jahr erfüllt.

Sie waren 15 Jahre im gleichen Departement. Ist Ihnen nie langweilig geworden?

Graf-Schelling: Als ich das Amt angetreten habe, war ich innert achteinhalb Jahren der vierte Regierungsrat im Departement für Justiz und Sicherheit. Stabilität an der Departementsspitze war darum notwendig. Nach vier Jahren wieder zu gehen, kam für mich nicht in Frage.

Und nach acht Jahren?

Graf-Schelling: Nach acht Jahren hätte ich mir das überlegen können. Damals stand ich aber mitten in den Arbeiten zur Einführung der neuen Prozessordnungen und zur Bezirksreorganisation. Dieses Projekt umfasste rund zehn Jahre. Es ist mir so ans Herz gewachsen und ich habe so viel Wissen dazu gesammelt, dass ich es durchziehen wollte.

Die Neueinteilung des Kantons ist Ihr grösster Erfolg.

Graf-Schelling: Es war das grösste Projekt. Die letzte Bezirkseinteilung des Thurgaus trug die Handschrift Napoleons.

Und die neue trägt Ihre Handschrift.

Graf-Schelling: Das ist vielleicht etwas übertrieben. Es stehen viele Leute dahinter. Es war aber schön, ein solches Werk mitzugestalten. Das ist nicht jedem Politiker möglich.

Sind Sie ein Reformer?

Graf-Schelling: Mir ist schon Reformitis angelastet worden. In meiner Amtszeit musste vieles geändert werden, zum Beispiel, um neue Vorgaben des Bundes zu erfüllen. Dazu zählt das Zivilstandswesen, die Armeeverwaltung oder die Prozessordnungen. Wir sind zudem gehalten, haushälterisch mit unseren Mitteln umzugehen. In meinem Departement kann man aber nicht einfach Leistungen zurückfahren. Ein Pass ist ein Pass und eine Heirat ist eine Heirat. Effizienz steigern kann man nur mit einer besseren Organisation.

Sie gelten als Politiker, der seine Ziele seriös und unaufgeregt verfolgt. Hat Ihnen das geholfen?

Graf-Schelling: Daneben habe ich auch die Ohren gespitzt und gehört, was die Leute sagen. Entscheidend war wohl auch, dass ich Schnauf hatte, weil ich nie das Departement wechselte. Darum stand ich nicht unter Zeitdruck. Das war gerade bei der Bezirksreform von Vorteil.

Schiffbruch hat dagegen 2007 das neue Einbürgerungsgesetz erlitten.

Graf-Schelling: Beim Bürgerrechtsgesetz waren wir aufgrund einer Motion des Grossen Rats zur Revision verpflichtet. Das Volk hat sie abgelehnt.

Haben Sie denn gar keine Tolggen im Reinheft?

Graf-Schelling: Auch mir ist nicht alles gelungen. Ich habe aber immer vorwärts geschaut. Man muss auch die Fähigkeit haben, zu vergessen.

Sie sind das einzige SP-Mitglied in der Regierung. Haben Sie sich nie einsam gefühlt?

Graf-Schelling: In der Regierung hat keine Partei die absolute Mehrheit. Alle Regierungsräte müssen für ihre Anliegen kämpfen. Wenn ich gute Arbeit geleistet habe, hatte ich immer gute Chancen, mit meinen Vorlagen durchzukommen.

Sie haben zum Teil Vorlagen gegen Ihre Partei vertreten – zum Beispiel bei der BTS-Abstimmung. Haben Sie das contre cœur gemacht?

Graf-Schelling: Als Regierungsrat hat man einen Auftrag. Und auf der anderen Seite braucht es eine Partei, die Verständnis für diese Rolle hat. Da darf ich der SP ein Kränzchen winden. Sie hat mir nie übel genommen, wenn ich engagiert einen anderen Standpunkt vertreten habe.

Was machen Sie, wenn Sie nicht mehr Regierungsrat sind?

Graf-Schelling: Dann werde ich immer noch ein politisch denkender Mensch sein.


Herr Regierungsrat Claudius Graf-Schelling, höchste Zeit.

– Gehen Sie mit Gott, aber gehen Sie!!!

Und nehmen Sie gleich noch Frau Bundesrätin Sommaruga mit.

Jean-Pierre Morf


Thurgauerzeitung.ch


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"Wenn Unrecht zu Recht wird, wird WIDERSTAND zur Pflicht!"
Veröffentlicht unter Allgemein, Kanton Thurgau, KESB - Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, Politik, Verantwortlichkeit, Widerstand