Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden leiden unter Personalnot. Das Obergericht als Aufsichtsorgan bezweifelt, dass sie mit dem heutigen Mitarbeiterbestand auskommen. Justizdirektor Graf-Schelling kündigt eine Überprüfung an.
FRAUENFELD. Der Start der fünf Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) war letztes Jahr chaotisch. Die Vorbereitungszeit sei zu kurz bemessen gewesen, hält nun auch das Obergericht fest. Es führt die Aufsicht über die neuen Behörden. Zu wenig Zeit habe es unter anderem für die Personalselektion, die Festlegung der Abläufe und die Teambildung gegeben. Auch sei unterschätzt worden, dass sich die Bürger schneller an die anonymeren Kesb wenden als an die bisher zuständigen Gemeindebehörden.
An der Grenze der Belastbarkeit
Die Folge ist laut Obergericht, dass die Kesb-Mitarbeiter bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit beansprucht sind. Damit bestätigt es den Eindruck der Geschäftsprüfungs- und Finanzkommission des Grossen Rats (Ausgabe vom 29. November).
Allerdings sieht das Aufsichtsgremium das nicht nur als Probleme der Startphase. Es bezweifelt, dass die Kesb genug Mitarbeiter haben. Es sei zu prüfen, ob der Personalbestand längerfristig ausreiche, schreibt das Obergericht in seinem Rechenschaftsbericht. «Aus heutiger Sicht ist dies allerdings stark zu bezweifeln.» Es verweist darauf, dass neue Aufgaben auf die Kesb zukommen. Demnächst setzt der Bundesrat das gemeinsame elterliche Sorgerecht in Kraft. Auch bereits Geschiedene können dann bei der Kesb das gemeinsame Sorgerecht beantragen. Weiteren Mehraufwand für die Kesb wird in den nächsten Jahren das neue Adoptionsrecht verursachen.
Warten auf Normalbetrieb
Justizdirektor Claudius Graf-Schelling teilt die Einschätzung des Obergerichts. Er will die Personalsituation prüfen, sobald sich in den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden der Normalbetrieb eingestellt hat. Erst dann könne man verlässliche Schlüsse ziehen und handeln, sagt er. Nach seinen Angaben wird das nicht vor 2015, spätestens aber 2016 der Fall sein.
Ursprünglich wollte der Regierungsrat die neue Behörde mit mehr Personal starten lassen. Er schlug 45 Vollzeitstellen vor. Nach Sparappellen aus dem Grossen Rat wurden dann aber nur 39,6 Stellen bewilligt. Der Grosse Rat sei bewusst restriktiv bei der Bewilligung neuer Stellen, sagt der Präsident der Geschäftsprüfungs- und Finanzkommission, Norbert Senn. Es sei dem Rat bewusst gewesen, dass der Start der Kesb mit der vorgesehenen Personalausstattung anspruchsvoll sei. «Wir haben ein gewisses Verständnis für die Klagen, dass die Kesb zu wenig Personal haben», sagt Senn, dessen Kommission sich mit dem Thema befasst hat.
Höchstens befristete Stellen
Einfach einen Freipass für eine unbefristete personelle Aufstockung der Kesb will Senn aber nicht geben. Er kann sich vorstellen, dass die Kesb befristete Zusatzstellen erhält, um die absehbare Mehrarbeit wegen des neuen elterlichen Sorgerechts bewältigen zu können. So könne gewährleistet werden, dass die Kesb zum Normalbetrieb finden.
Trotz aller Schwierigkeiten der Kesb zieht das Obergericht kein negatives Fazit zum ersten Jahr der Kesb. Im Vergleich zu anderen Kantonen seien die Kesb im Thurgau gut gestartet, heisst es im Rechenschaftsbericht.