Väter können sich nicht vor einem Schweizer Gericht wehren, wenn die Kindesschutzbehörde den Umzug ihres Kindes ins Ausland erlaubt. Sie müssen im Ausland um ihr Recht kämpfen.
Soll sich ein Schweizer Vater vor einem hiesigen Gericht dagegen wehren können, wenn die Mutter mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland ziehen möchte? Oder muss er hinnehmen, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) den Wegzug bewilligt, er in der Schweiz das Nachsehen hat und vor einem ausländischen Gericht um sein Recht kämpfen muss? Dies war die Kernfrage einer familienrechtlichen Streitigkeit, welche die Zweite zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts am Donnerstag an einer öffentlichen Sitzung in Lausanne beraten hat.
Deutsches Gericht zuständig
Konkret ging es um die Beschwerde des Vaters einer 9-Jährigen. Die Eltern, die beide das Sorgerecht haben, leben seit Jahren getrennt, das Mädchen wurde zur Hauptsache von der Mutter betreut. Im Dezember 2015 beantragte die Frau bei der Kesb Bern den Umzug mit der Tochter in ihre Heimatstadt Bonn, wo sie Anfang Februar 2016 eine neue Arbeitsstelle antreten werde. Ende Januar 2016 gab die Kesb Bern grünes Licht und teilte mit, dass eine allfällige Beschwerde des Vaters keine aufschiebende Wirkung haben werde. Mutter und Tochter zogen nach Bonn. Der Vater reichte kurz darauf beim Obergericht Bern Beschwerde gegen den Kesb-Entscheid ein, doch trat das Gericht «wegen entfallener Zuständigkeit» nicht darauf ein.
Vier der fünf Lausanner Richter stellten sich auf den Standpunkt, dass das Obergericht richtig gehandelt habe. Mit dem Wegzug des Kindes ins Ausland sei die Kompetenz, den Fall zu beurteilen und den Aufenthaltsort des Mädchens zu bestimmen, auf die deutsche Justiz übergegangen. Der Vater müsse sich also an das zuständige deutsche Gericht wenden und dort um sein Recht streiten. Dies schreibe das Haager Kindesschutz-Übereinkommen vor. Laut diesem internationalen Vertragswerk, das seit 2009 für die Schweiz gilt, sind für die Beurteilung der Kinderbelange die Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes zuständig – im vorliegenden Fall also in Deutschland. Das stellt einen Einbruch dar in das Prinzip, wonach die Kompetenz bei jenem Gericht bleibt, das mit einer hängigen Streitsache betraut ist.
Verfassung oder Völkerrecht?
Einer der Bundesrichter mochte sich dieser Auffassung nicht anschliessen und verlangte, das Abkommen künftig enger auszulegen. Selbst wenn das Kind mit dem Segen der Kesb bereits ins Ausland verbracht worden sei, müsse der Fall in der Schweiz bleiben, bis ein hiesiges Gericht rechtmässig entschieden habe. Es gehe nicht zuletzt darum, Schweizer Vätern Recht zu gewähren und sie vor der Willkür der Kesb zu schützen, wenn die Ex-Frau mit dem Kind ins Ausland ziehe.
Dies verlange auch die in der Bundesverfassung verankerte Rechtsweggarantie, argumentierte der Richter und stellte etwas provokant die Frage, ob das Bundesgericht nun der Bundesverfassung den Vorrang gebe oder dem internationalen Vertrag. Seine Kollegen wollten sich auf die brisante Diskussion rund um das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht jedoch nicht einlassen. Der Zugang zu einem Gericht sei auch dann garantiert, wenn sich ein Vater an einen ausländischen Richter wenden könne, so der Tenor. Der Abteilungspräsident sah sich am Schluss aber doch noch zur Klarstellung veranlasst: «Mit diesem Urteil sagen wir nicht, dass Völkerrecht vorgeht, schon gar nicht der Verfassung.»
5A_619/2016 vom 23. 3. 17 – schriftliche Begründung folgt.
(Von Katharina Fontana)