Das Baselbieter Kantonsgericht kippt einen Entscheid der Vormundschaftsbehörde zugunsten eines Vaters. Der Kampf um seinen Sohn ist damit aber noch längst nicht ausgestanden.
Martin H.* ist aus dem Häuschen. Gewonnen – nach zweijährigem Streit. «Ich freue mich enorm, habe meinen Glauben in die Behörden ein Stück weit wiedergefunden», sagt der Vater des siebenjährigen Manuel*. Das Baselbieter Kantonsgericht hat den Grundstein dafür gelegt, dass Martin H. seinen Sohn wieder ohne staatliche Aufsicht wird sehen können: Die Richter hoben einen Entscheid der Vormundschaftsbehörde einer Oberbaselbieter Gemeinde auf, den die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Gelterkinden-Sissach (Kesb) durch alle Böden verteidigt hat und im November 2013 bestätigte. Dabei ging es um ein begleitetes Besuchsrecht des Vaters für seinen Sohn, das für die Dauer von wenigen Monaten ausgesprochen worden ist.
Auf Betreiben der Mutter von Manuel, von der sich Martin H. vor fünf Jahren trennte, hatte die damalige Vormundschaftsbehörde verfügt, dass der Vater seinen Sohn nur noch unter Aufsicht bei der Einrichtung Begleitete Besuchstage Baselland in Binningen sehen dürfe. Darauf aber wollte sich H. nicht einlassen. Kinderbesuche bei dieser Institution würden für Drogenabhängige, Sexualstraftäter oder Gewaltverbrecher angeordnet, hatte er argumentiert, dazu bestehe bei ihm kein Anlass. Er sei unbescholten und habe seinem Sohn nie etwas angetan. Würde er das Besuchsrecht in dieser Form wahrnehmen, sei er «stigmatisiert», was ihm im Verfahren über das Sorgerecht für zwei weitere Söhne, die bei ihm leben, zu seinen Ungunsten ausgelegt werden könnte, befürchtete er.
Tatsächlich empfiehlt sich die Organisation Begleitete Besuchstage Baselland in Binningen für Situationen mit Angst vor Entführung, Gewalt oder sexueller Ausbeutung oder bei Suchtproblematik. Sie bietet ihre Dienste aber ebenso an bei ungelösten Paarkonflikten in Trennungssituationen, mangelhaftem Vertrauen in den anderen Elternteil oder schlicht bei fehlenden oder ungünstigen Räumlichkeiten.
Vorwürfe und Klagen
Die Furcht vor der Stigmatisierung wog für H. aber schwerer. Obwohl ihm die in seinem Wohnkanton zuständige Kesb das Sorgerecht für seine beiden weiteren Söhne 2010 und 2013 zugesprochen hat, sah er Manuel in den vergangenen zwei Jahren bloss zweimal – einmal an einer Schulveranstaltung und einmal bei einer Abklärung des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes. Die Distanz zwischen Vater und Sohn wuchs, der Vater machte für die Entfremdung die Mutter und die Kesb verantwortlich. Die Kesb aber ging auf seine Forderungen nicht ein, so laut und oft er auch rief. Im Gegenteil: Je heftiger der Vater insistierte, desto härter wurden die Fronten zwischen ihm und Reinhard Studer, dem Leiter der Kesb Gelterkinden-Sissach, und der Mutter von Manuel, bei der das Kind lebt. Es kam zu Beschuldigungen, Beschwerden und Klagen von Vater und Mutter.
Ist H. nun ein notorischer Querulant mit einer völlig verzerrten Wahrnehmung? Dem Gericht zufolge ist er das nicht. Es entschied im Sinn des Vaters. Das begleitete Besuchsrecht sei nicht indiziert gewesen. Der Vater erwägt nun juristische Schritte gegen die Kesb, macht dies aber abhängig von der noch ausstehenden schriftlichen Urteilsbegründung.
Mehr als zwei Jahre liegt der Fall nun schon bei den Behörden. Mit dem Urteil des Kantonsgerichts ist die Auseinandersetzung aber längst nicht ausgestanden. Liegt das schriftliche Urteil vor, haben die unterlegenen Parteien, die Kesb und die Mutter von Manuel, die Möglichkeit, den Entscheid anzufechten. Verzichten sie darauf, werden sich die Konfliktparteien demnächst wieder bei der Kesb Gelterkinden-Sissach treffen. Voraussichtlich wieder mit Reinhard Studer, was H. mit einer Aufsichtsbeschwerde gegen den Kesb-Leiter bei der Baselbieter Sicherheitsdirektion (SID) zu verhindern versucht hatte. Die SID aber hat keine Pflichtverletzung der Kesb und deren Leiter festgestellt. Zur von H. geforderten Ausstandspflicht Studers bestehe kein Anlass. Das heisst: Studer kann federführend bleiben, wenn die Kesb das strittige Besuchsrecht neu beurteilen und regeln wird. H. aber hält Studer wegen Befangenheit und gestörtem Vertrauensverhältnis für untragbar.
«Nicht nur Schwarz und Weiss»
Die Niederlage vor Gericht will Studer nicht kommentieren, ehe die schriftliche Begründung des Urteils vorliegt. Ohne auf Details des Falls einzugehen, spricht er von einem «Fall mit grossem Konfliktpotenzial», bei dem es «nicht nur Schwarz und Weiss» gebe. Man habe beim Entscheid eine Gewichtung aufgrund der vorliegenden Fakten und Beurteilungen vorgenommen «und nicht bloss den Finger in die Luft gestreckt».
Als Präsidentin der Träger- und Standortgemeinde Gelterkinden hat Christine Mangold Kenntnis von einem Gerichtsfall – mehr aber auch nicht. So könne sie sich weder zum Fall an sich noch zum Urteil äussern. Das sei eine Sache zwischen den involvierten Parteien, dem Gericht und der Kesb, die, wie Mangold betont, eigenständig agiere. Die Trägerschaft habe bei deren Entscheiden keinerlei Befugnisse. «Die Kesb ist uns gegenüber noch nicht einmal auskunftspflichtig.»
Einfluss nehmen könnten die Gemeinden als Anstellungsbehörde allenfalls über die personelle Besetzung der Kesb. Zum Beispiel, wenn sich solche Dinge laufend ereignen sollten oder sie zur Überzeugung kommen sollten, dass die Arbeit nicht in ihrem Sinn geleistet werden sollte. «Davon sind wir aber weit entfernt», betont Mangold.
Zu Streitigkeiten über Entscheide in Vormundschaftssachen kommt es immer wieder. Nach altem Recht seien Differenzen verwaltungsintern geregelt worden, heute müssten die Richter entscheiden, sagt Reinhard Studer. Bei seiner für den Bezirk Sissach zuständigen Behörde seien zurzeit zwischen fünf und zehn Fälle der Kesb Gelterkinden vor Gericht hängig – im Verhältnis zu jährlich 500 erledigten Verfahren pro Jahr stuft er die Zahl als gering ein.
* Namen geändert.