Zoë Jenny und Julia Onken hielten auf dem Bürkliplatz eine Mahnwache für die beiden in Flaach getöteten Kinder. Im Visier haben sie die Kinderschutzbehörden. Der angekündigte Chris von Rohr war nicht da.
Auf dem Bürkliplatz in Zürich formierten sich heute Nachmittag um 14 Uhr die Gegner der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb). Sie wollten der Kinder von Flaach gedenken, die von ihrer Mutter getötet worden sind. Organisiert hatten die Veranstaltung Schriftstellerin Zoë Jenny, Psychologin Julia Onken und Rocker Chris von Rohr. Letzterer kam allerdings nicht, weil er Zahnschmerzen habe. Politologin Regula Stämpfli moderierte die Veranstaltung.
Der Andrang war mässig. Abzüglich der vielen Medienschaffenden waren etwa 60 Personen dem Promi-Aufruf gefolgt. Auch die Grosseltern der getöteten Kinder waren anwesend. Nach etwa einer Stunde löste sich die Gruppe der Zuhörer auf, während die Veranstaltung weiterging.
Onken fühlt sich an Diktaturen erinnert
Bereits am 12. Januar hatten Zoë Jenny und Julia Onken in einem offenen Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die Abschaffung der Kesb verlangt. Im Schreiben fordern sie die «unverzügliche Ausserkraftsetzung aller Kesb-Verordnungen», eine «strafrechtliche Untersuchung gegen die betroffenen Behördenmitglieder» im Fall Flaach und eine Rückverlagerung der «Budget-Autonomie an die Gemeinden».
Direkt auf ihre Forderungen angesprochen, sagte Julia Onken, dass sie in erster Linie eine Evaluation fordere. Mehrere hundert Menschen hätten sich bei ihr und Zoë Jenny gemeldet und ihre schlechten Erfahrungen mit der Kesb geschildert. Diese Fälle sollten nach Ansicht von Onken in diese Evaluation einfliessen. Es gehe ihr nicht direkt um die Abschaffung der Kesb, sondern um eine Veränderung. Onken stört sich vor allem am Menschenbild der Kesb, bei dem es nicht mehr um den einzelnen Menschen gehe, sondern um die Verwaltung von Menschen. Das erinnere sie an Sekten oder Diktaturen.
Onken möchte, dass das Umfeld der Betroffenen wieder mehr einbezogen wird und mehr Mitspracherecht hat. Dabei würde sie auf ehrenamtliche Arbeit setzen. «Das sind Menschen, die helfen wollen und nicht um fünf Uhr das Büro verlassen und unerreichbar sind.» Ausserdem betont die Psychologin, dass die Menschen, die sich bei ihr gemeldet hätten, auf Anonymität bestünden, weil sie «furchtbare Angst» hätten vor Repressalien vonseiten der Kesb. Auf die Nachfrage, ob sie einen konkreten Fall kenne, verneint sie allerdings. Aber diese Angst entstehe ja nicht einfach so, sagt Onken.
Jenny: «Meine persönliche Aufgabe»
Nachdem die Grosseltern der verstorbenen Kinder ihre Geschichte erzählt hatten und Regula Stämpfli eine Schweigeminute einleitete, sprach Zoë Jenny zum Publikum. Sie ging zuerst auf ihre eigenen Erfahrungen mit der Kesb ein und erzählte dann von Fällen, die ihr über ihre Website geschickt wurden.
Sie enervierte sich, dass Bundesrätin Sommaruga bis anhin nicht auf ihren offenen Brief eingegangen ist. Dann versprach Jenny den Anwesenden, alles zu unternehmen, was in ihrer Macht liege, um gegen die Kesb vorzugehen. Das Publikum applaudierte. Sie sehe das als ihre persönliche Aufgabe, sagte Jenny. Ausserdem forderte sie eine Volksabstimmung über den Fortbestand der Kesb.
Stämpfli fordert Coaching
Regula Stämpfli erwähnte die «lange Tradition von furchtbaren Vormundschaften». Die Lösung sieht sie nicht in der Abschaffung der Kesb, sondern in einer Reform. Dafür müsse die Kesb mit den Familien reden, damit diese mitteilen könnten, was sie benötigen. Stämpfli stellt sich eine Art Coaching von Familien vor.
Im Anschluss sprach René Schüpbach, ein ehemaliges Heimkind mit Jahrgang 1933. Er erzählte von seinen Erfahrungen mit den damaligen Behörden und zog Vergleiche zur Gegenwart mit der Kesb. Es kamen weitere Gruppen zu Wort, die sich gegen die Kesb einsetzen, und erzählten von ihren Erfahrungen. Auch einzelne Betroffene berichteten.
Naef verteidigt Kesb
Die Mahnwache oder den Fall Flaach möchte SP-Nationalrat Martin Naef nicht direkt kommentieren. Der Sprecher der Kesb Stadt Zürich möchte sich explizit nur als Parlamentarier zur Kesb äussern. Er betont, dass sich die Vormundschaftsbehörde in der Vergangenheit «nicht gerade mit Ruhm bekleckert» habe. Und erinnert dabei an die «Verdingkinder» und «die Kinder der Landstrasse». Die Professionalisierung war in seinen Augen deshalb überfällig.
Naef anerkennt, dass die Massnahmen der Kesb teilweise einen massiven Eingriff in das Leben der Klienten ist und Ohnmachtsgefühle wecken können. Er streicht deshalb heraus, dass immer so «viel wie nötig, aber so wenig wie möglich» unternommen werde. Und er verweist darauf, dass eine neue Behörde immer etwas Zeit brauche, bis sie sich eingespielt hat.
(Tages-Anzeiger)