Bundesgericht toleriert Inländerdiskriminierung



EU-Bürger in der Schweiz haben es auch künftig einfacher als Schweizer Bürger, ausländische Familienmitglieder nachzuziehen. Die Richter in Lausanne beugen sich dem Entscheid des Parlaments.

Das Bundesgericht verzichtet darauf, gegen die Benachteiligung von Schweizer Bürgern beim Nachzug ausländischer Familienangehöriger einzuschreiten. Die Richter in Lausanne haben sich dem letztjährigen Entscheid des Parlaments gefügt. Schweizer Bürger sind beim Nachzug von ausländischen Familienangehörigen schlechter gestellt als EU-Bürger in der Schweiz. Bei Schweizern ist diesbezüglich das Ausländergesetz (AuG) massgebend, bei EU-Bürgern das Freizügigkeitsabkommen (FZA). Das Problem wird «Inländerdiskriminierung» genannt.

Artikel 42 des AuG verlangt, dass die nachzuziehende Person im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates ist, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde. Vor rund zweieinhalb Jahren hatte das Bundesgericht das entsprechende Erfordernis bei Angehörigen von FZA-Staaten aufgegeben.

Bewusster Verzicht auf Änderung

Dem Gesetzgeber hatten die Richter in Lausanne dabei nahe gelegt, dafür zu sorgen, dass Schweizer Bürger künftig nicht schlechter dastehen. Das Parlament verzichtete im vergangenen Jahr allerdings bewusst darauf, das AuG entsprechend anzupassen.

Das Bundesgericht hatte sich nun mit dem Fall eines Schweizers zu befassen, der seine betagte Mutter aus Bosnien-Herzegowina zu sich holen wollte. Die Waadtländer Justiz verwehrte den Nachzug, da die fragliche Bedingung von Artikel 42 AuG nicht erfüllt sei.

In seiner Sitzung hat das Bundesgericht die Beschwerde der Betroffenen nach hochstehender Diskussion nun mit drei zu zwei Richterstimmen abgewiesen. Die Richter in Lausanne fügen sich damit dem Entscheid des Parlaments, dass Schweizer beim Familiennachzug weiter schlechter gestellt bleiben.

Gericht will nicht Gesetzgeber sein

Über die genaue Begründung des Entscheides wird erst das schriftliche Urteil Klarheit geben. Eines der ausschlaggebenden Argumente scheint gewesen zu sein, dass das Gericht dem Gesetzgeber einen sachlichen Grund zubilligt, indem er seinen Entscheid im Interesse der Zuwanderungsbeschränkung gefällt habe.

Betont wurde mehrfach, dass sich das Bundesgericht nicht zum Gesetzgeber aufschwingen dürfe. Die beiden unterlegenen Richter sahen in der Ungleichbehandlung einen Verstoss gegen das Verbot der Diskriminierung gemäss Europäischer Menschenrechtskonvention, den zu beseitigen Aufgabe des Bundesgerichts sei.

Auch die anderen Richter verhehlten nicht, dass die aktuelle Situation stossend und kaum sinnvoll ist. Es wurde denn auch die deutliche Hoffnung geäussert, dass das Parlament die problematische Lage doch noch beheben werde. (kpn/sda)


Tagesanzeiger.ch


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