Caritas-Studie zu Alleinerziehenden

Ein Hilferuf für Armutsgefährdete
Einelternfamilien stossen laut einer neuen Studie oft an ihre Grenzen. Unbeachtet bleibt dabei die Situation des unterhaltspflichtigen Elternteils.

Armut ist in einem wohlhabenden Land wie der Schweiz schwierig zu definieren. Ist jemand, der mit einem Kind in einer Dreizimmerwohnung mit Ledersofa und Fernseher lebt und sich aus Kostengründen mehrheitlich von Teigwaren ernährt, arm oder nicht? Gemäss einer neuen Studie des Interdisziplinären Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Bern gab es im Jahr 2013 rund 200 000 Einelternfamilien. Jede sechste davon sei von Armut betroffen.

Einelternhaushalte im Blick

Das Ziel der Studie, die vom Hilfswerk Caritas in Auftrag gegeben wurde, sei, «einen Blick hinter die offiziellen Zahlen zu Einelternhaushalten in der Schweiz zu werfen und dazu beizutragen, ein differenzierteres Bild dieser Haushaltsform zu gewinnen», schreiben die Verfasser. Oft seien Mütter und Väter, die ihre Kinder mehrheitlich alleine betreuen und erziehen, nicht in der Lage, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Die Situation spitze sich dann zu, wenn Alleinerziehende in einem Sektor mit tiefen Löhnen arbeiteten und flexible Arbeitseinsätze erwartet würden, schreibt die Caritas in ihrem Positionspapier «Gegen die Armut Alleinerziehender».

Betroffen seien Einelternfamilien, die in einem Haushalt lebten, dessen Einkommen unter dem sozialen Existenzminimum liege. Die konkrete Grenze wird von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe individuell nach Haushaltsgrösse und Wohnort berechnet. Für eine alleinerziehende Person mit zwei Kindern liegt die durchschnittliche Armutsgrenze im Jahr 2015 bei monatlich 4000 Franken. Diese setzen sich wie folgt zusammen: 602 Franken für die Krankenkassenprämie, 1608 Franken für die Wohnkosten und 1834 für den Grundbedarf (Ernährung, Kleidung, Gesundheitspflege, Mobilität, Unterhaltung und Bildung, Energiekosten und Vereinsbeiträge).

Wer weniger zur Verfügung hat, ist laut der Caritas armutsgefährdet. Die Politik dürfe der Lebenssituation von armutsbetroffenen Alleinerziehenden (meist Frauen) nicht tatenlos zusehen. «Kinder alleine zu erziehen, darf kein Armutsrisiko sein», sagte Bettina Fredrich, Leiterin Sozialpolitik bei der Caritas Schweiz, am Freitag an einer Pressekonferenz. Trotz der jüngsten Neuregelung des Kindesunterhalts blieben nach einer Scheidung oder Trennung entscheidende Lücken bestehen. 14 Interviews mit Betroffenen hätten gezeigt, dass Alleinerziehende über ungenügende finanzielle Ressourcen verfügten, heisst es weiter.

Weniger Fleisch und Hobbys

Ein Blick in die besagten Aufzeichnungen wirft Fragen auf. «Ich rauche nicht, trinke nicht und habe kein Auto», lässt sich eine Mutter zitieren. Sie verzichte öfters auf Fleisch und achte grundsätzlich auf Aktionen. Viele Kleider habe sie aus den USA mitgebracht oder im Ausverkauf gekauft. Eine andere Mutter bekommt die Kinderkleider oft geschenkt und leistet sich dafür Bio-Produkte. Sie sagt, «eigentlich spare ich beim Essen nicht wirklich», dafür aber bei der körperlichen Gesundheit, gemeint sind Hobbys und Sport.

Die eine Mutter kann sich kein Fitness-Abo leisten, die andere hat zwar eines, ihr fehlt aber die Zeit, um hinzugehen. Hinzu kommen bei berufstätigen Müttern die Doppelbelastung und zu tief bemessene oder ausbleibende Alimentenzahlungen. Die Caritas warnt: An den Kindern gehe die schwierige Situation nicht spurlos vorbei. Oft hätten sie weniger Zugang zur Frühförderung, weil die Krippe zu teuer sei oder das fehlende Geld das Spektrum an Freizeitaktivitäten stark einschränke.

Ein Aspekt bleibt in der Studie unbeachtet: die Situation des unterhaltspflichtigen Elternteils (meist der Vater). Wenn sich Paare mit einem monatlichen Einkommen von bis zu 5000 Franken trennen, dann reicht das Geld nicht für zwei Haushalte. Oliver Hunziker, Präsident des Vereins für elterliche Verantwortung, sagt: «Lebt eine Mutter auf dem Existenzminimum, so tut dies auch der Vater, allerdings auf einem tieferen Niveau.» Ihm würden nicht dieselben Lebenskosten zugestanden. Grund dafür ist, dass Väter nicht wie Mütter in den Genuss des sozialen Existenzminimums kämen, sondern auf das tiefere betreibungsrechtliche Existenzminimum heruntergestuft würden.

Die einzige Lösung für dieses Problem sei, mehr Geld ins System einzubringen. Derzeit passiert dies laut Hunziker auf zwei Wegen. Entweder verlangt die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde oder das Gericht von den Männern, ihr Einkommen zu steigern – oder der Staat muss über die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen einspringen. In den wenigsten Fällen werde von der Mutter verlangt, ihre Erwerbstätigkeit effizienter zu gestalten oder einen Teil der Kinderbetreuung dem Vater zu überlassen. Laut Bundesamt für Statistik arbeiten 17 Prozent der Alleinerziehenden gar nicht. Weitere 44 Prozent haben einen Teilzeitjob, und 23 Prozent sind voll berufstätig. Männer, die alleinerziehend sind, arbeiten häufiger Vollzeit und dürften den Schnitt anheben.

Schulden bis zur Pension

Gemäss der Studie gilt eine Mutter mit zwei Kindern als arm, wenn sie weniger als 3600 Franken im Monat erhält. «Für den dazugehörigen in Vollzeit arbeitenden Vater bleiben bei einem tiefen Einkommen selten mehr als 2000 Franken», sagt Hunziker. Das neue Unterhaltsrecht verleite auch unverheiratete Frauen dazu, aus dem Erwerbsleben auszusteigen. Die Kosten, die der Staat übernehmen müsse, würden in den nächsten Jahren deswegen massiv ansteigen. Verdienen Mütter nach dem Auszug der Kinder wieder, müssen sie dem Sozialamt nur in Ausnahmefällen etwas zurückzahlen. Anders die Väter: Werden diese aus der Alimenten-Pflicht entlassen, müssen sie oft bis zur Pensionierung ihre über die Jahre angehäuften Schulden für Steuern und Alimentenbevorschussung abzahlen. Denn diese sind in ihrem Existenzminimum nicht enthalten.


NZZ.ch


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