Trennungskinder: Nicht nur Sache der Väter



Wer holt, wer bringt das Kind? Diese Frage sorgt bei getrennten Paaren nicht selten für Diskussionen. Laut Lehrmeinung ist im Streitfall der Vater für beide Wege zuständig. Nun hat ein Gericht im Kanton Luzern ein gegenteiliges Urteil gefällt.

Sofern nicht anders vereinbart, ist es in der Schweiz Sache des Vaters, das Kind für den Besuch bei ihm zu holen und wieder zur Mutter zu bringen. Dies ist nicht unbedingt gerecht, wird aber an den meisten Gerichten so gehandhabt. Für manche Eltern ist die Übergabe ein grosser emotionaler Stress, der sich im besseren Fall in verlegenen Floskeln äussert, im schlechteren in einen handfesten Streit ausufert.

Loyalitätskonflikte vermeiden

Konfliktanfällig ist die Übergabe oft auch, weil sie die einzige Situation ist, in der sich die Eltern noch sehen. Dabei wird, meist begleitet durch ein quengelndes Kind, alles Notwendige besprochen. Missverständnisse sind dadurch vorprogrammiert, Streit fast unausweichlich. Das Kind hingegen fühlt sich nicht selten wie ein Paket hin und her geschoben.

Der Weg allein war, falls die Eltern nicht sehr nahe beieinander wohnen, sowieso schon anstrengend: Tram oder Autofahren, umsteigen und laufen, alles immer mit dem ganzen Gepäck. Hinzu kommen der Abschied und die Umstellung vom einen Elternteil auf den andern. Ein Urteil, welches Ende letzten Jahres in Kraft getreten ist, vertritt eine andere Haltung. Der Vater hatte zuvor gegen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) prozessiert. Nachdem die Kindsmutter 2011 in einen anderen Kanton gezogen war, wurde festgelegt, dass «die Zuführung des Kindes durch die Eltern wechselweise zu erfolgen habe».

Im Sommer des letzten Jahres entschied die Kesb dann, dass der Vater beide Wege zu bewerkstelligen habe. Begründung erfolgte keine. Nachforschungen ergaben, dass die Kesb einzig die Kindsmutter angefragt hatte, wie die Übergabe zu erfolgen habe; der Vater wurde nicht befragt. Daraufhin ergriff er die Rechtsmittel. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom letzten November gab ihm dann auch recht. Es vertritt die Meinung, «dass die Übergänge vom einen Elternteil zum anderen bei jüngeren Kindern idealerweise so erfolgen, dass der sorgeberechtigte Elternteil das Kind zum Besuchswochenende bringt und das Kind danach vom anderen Elternteil wieder zurückgebracht wird». Bei der Übergabe sollten sich die Erwachsenen kurz austauschen und dann verabschieden. Durch ein solches Vorgehen signalisierten beide, dass sie «mit der getroffenen Regelung einverstanden sind und diese unterstützen».

Das Gericht beruft sich auf kinderpsychologische Erkenntnisse, wonach es hilfreich sei, wenn bei der Ausübung des Besuchs jeweils ein Elternteil das Kind zum anderen bringe. Erschwere die obhutsberechtigte Person, wie im vorliegenden Fall, durch einen Wegzug mit dem Kind nicht nur die Ausübung des Besuchsrechts, sondern entstünden erhebliche Mehrkosten, seien diese entsprechend auf beide Elternteile zu verteilen. Kinderpsychologen betonen schon lange die Wichtigkeit der Übergaben, welche viele Kinder in einen Loyalitätskonflikt drängen. Um dies zu vermeiden, sei es wichtig, dass der obhutsberechtigte Elternteil zeige, dass er mit dem Besuch und der mit dem anderen Elternteil verbrachten Zeit einverstanden sei. Wird das Kind von ihm gebracht und vielleicht noch beim Packen der Tasche unterstützt, so vereinfache dies den Übergang enorm.

Alte Faustregeln hinterfragen

Die Rechte der Kinder auf den Kontakt zum getrennten Elternteil hängen stark von der gesellschaftlichen Anschauung ab. Mit der Einführung des gemeinsamen Sorgerechts zeigt sich der Wandel der Familienbilder auch im Gesetz.

In einem Essay zu ungeklärten Praxisfragen schreibt der Zürcher Rechtsanwalt Beda Meyer Löhrer: «Noch wird aber in der juristischen Praxis an den Gerichten mit den einseitigen Obhutszuteilungen und Besuchsrechten den Müttern der Vorrang gegeben Dies in der Annahme, dass ein Kind im Streitfall nur eine Bezugsperson brauche. Diese Annahmen seien aber mittlerweile wissenschaftlich überholt. Das sogenannte Wechselmodell, bei dem Scheidungskinder zwei Wohnsitze hätten, sei auch dann dem Kindswohl zuträglicher, wenn das Konfliktniveau der Eltern erheblich sei. Es bleibe abzuwarten, ob die Gerichte in der Schweiz die Gesetzesänderungen zum Anlass nähmen, die alten Faustregeln kritisch zu hinterfragen. Denn viele halten den neuen Erkenntnissen nicht mehr stand. (Von Seraina Kobler)


NZZ.ch


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