SP-Bundesrat habe bei Geliebter Abtreibung verursacht, Elite-Einheit Tigris mobilisiert. Frau hat Buchprojekt: Steht Berset vor Karriere-Aus?
Die „Weltwoche“ zündet heute einen Sprengsatz der Extra-Klasse. Gestützt auf Strafakten der Affäre von Bundesrat Alain Berset mit einer jungen Künstlerin enthüllt das Blatt Details, die das Aus der steilen Polit-Karriere des Freiburgers bedeuten könnten.
Die bisher geheimen Informationen der seit letztem Winter bekannten Affäre mit einer knapp 15 Jahre jüngeren Frau aus Zürich, die schreiben und musizieren kann und heute einen kleinen Sohn hat, sind an Explosivität kaum zu überbieten.
Trotzdem findet sich in den grossen Online-Plattformen von Blick, Tages-Anzeiger, Watson und NZZ bis jetzt kein Wort zur Weltwoche-Titelstory. Verfasst hat sie Ex-SVP-Nationalrat und heutiger Weltwoche-Autor Christoph Mörgeli.
Dabei hat das Zürcher Wochenmedium offensichtlich alles in der Hand. Die Frau habe im November 2019, als Alain Berset vor seiner Wiederwahl als Bundesrat stand und sich prominent für „Kinderrechte“ ins Zeug legte, den Gesundheitsminister per Email angeschrieben.
Sie habe ihm in ihrem Vorstoss vor 2 Jahren vorgeworfen, „bei ihr eine Abtreibung verursacht zu haben“, so die Weltwoche. Berset soll ihr 100’000 Franken „für eine angeblich ‚ausstehende Schuld’“ zukommen lassen.
Bei Berset gingen sofort alle Alarmlampen an, wie die Weltwoche in ihrem ausführlichen Artikel minutiös aufzeigt. Eine eigentliche Taskforce, mit Bersets gewieftem Kommunikationschef und dem Generalsekretär des Innenministeriums, nahmen sich der Krise an.
Save Alain.
Der Generalsekretär gab der Künstlerin rasch zu verstehen, dass der Bundesrat der Sozialdemokraten und oberste Gesundheits-Verantwortliche des Landes nach der „kurzzeitigen Beziehung“ mit seiner Familie „im Reinen“ sei.
Laut Weltwoche-Mörgeli habe der vom Schweizer Steuerzahler besoldete Berset-Stabschef Falsches gegenüber der Frau gesagt.
Die Affäre war nicht kurz, sondern zog sich offenbar über Jahre hinweg.
Und weil der Fall in Bern mehrere gutbezahlte Beamte und später die Bundesanwaltschaft und Polizei auf Trab hielt, habe es sich längst nicht mehr um eine wie behauptet „rein private Angelegenheit“ gehandelt.
Das erkannte scharfsinnig auch die Frau.
„Wenn herauskommt, dass Herr Bundesrat seine Frauengeschichten durch einen vom Staat finanzierten Sekretär abhandeln lässt, könnte sich die Täterrolle wegen Amtsmissbrauchs auf Ihren Chef wenden“, habe diese laut der Zeitung dem Generalsekretär geantwortet.
Bersets Taskforce mit dessen engsten Mitstreitern beabsichtigten als Strategie den kleinstmöglichen Schaden für ihren Bundesrat.
Die Frau sollte demnach mittels Strafbefehl abgeurteilt werden, um möglichst keinen öffentlichen Prozess mit absehbarem Aufsehen im Volk zu riskieren.
Doch wie? Die Künstlerin schaltete Anfang Dezember 2019 einen Gang hoch. Sie begann, auf dem Instagram-Account von Bersets Frau Beiträge zu markieren.
Nun brauchte es schweres Geschütz, sagten sich Bersets Leute. Dessen persönlicher Berner Verteidiger schickte der Frau per Email eine unmissverständliche Drohung.
Eine Verurteilung würde „mit hoher Wahrscheinlichkeit Ihre bisherige Karriere beenden“, so der Anwalt.
Die Frau gilt in der Kunstszene als riesiges Talent, sie hatte Bundesrat Berset im Rahmen einer Reise des SP-Magistraten zu Beginn von dessen Bundesratszeit kennengelernt. Damals war sie 25, er 40.
Das Mail von Bersets Verteidiger erzielte laut Weltwoche nicht den gewünschten Effekt. Falls sie rechtlich drangsaliert würde, würde sie „alles auf den Tisch legen“, habe die Frau per Mail dem Fürsprecher geantwortet.
Dazu gehörten nicht nur Informationen rund um die behauptete Abtreibung, sondern auch zur „Verwendung des Bundesratsfahrzeugs für Affärenbesuche, zum Teil in Deutschland“.
Laut der Frau betreibe Alain Berset zudem „bestimmte Mailadressen, ‚um sich zu decken‘, so etwa ‚alaintigrillo‘“, wie sie später ausführen sollte.
Die Lage für Chef Berset wurde immer dramatischer. Nun versuchte dessen Anwalt sein Glück mit einem Psychiater. Der unterstellte der Frau mittels Ferndiagnose eine akute „Schizophrenie“.
In ihrer Not entschieden sich Berset, sein Anwalt und die Berater des Bundesrates, aufs Ganze zu gehen.
Dem Schein nach vereinbarte Bersets Verteidiger mit der Künstlerin einen Geld-Übergabe-Ort für den 13. Dezember 2019.
Statt versprochenem Frieden kams zum brutalen Krieg. Am Morgen des 13. Dezember, einem Freitag, kurz vor acht Uhr nahmen 7 Polizisten und Beamte die Frau an deren Wohnort fest.
Aufgeboten war von der inzwischen eingeschalteten Bundesanwaltschaft die Sondereinheit „Tigris“.
„Diese Elite-Sondereinheit kommt offiziell bei ‚Schwerstkriminalität‘ und ‚erhöhtem Risiko der Gewaltanwendung‘ zum Einsatz“, schreibt das Blatt.
Handys, Laptops, Dokumente, Fotos – alles mittels Hausdurchsuchung sichergestellt, die junge Frau und Mutter eines damals Vierjährigen abgeführt und ins Gefängnis gesteckt.
Ihr wurde ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. Schon am Nachmittag des Freitags kams zur Einvernahme. Die Weltwoche schreibt an dieser entscheidenden Stelle in der ganzen Affäre zwischen oberstem Landesvertreter und junger Künstlerin, die das Blatt „Scarlett Gehri“ nennt:
„Dabei nahm Gehri ihre Erpressung zurück; Berset habe nichts von der Abtreibung gewusst und sie auch nicht dazu genötigt. Sie habe Bundesrat Berset einfach gesagt, ‚dass er die Abtreibungskosten übernehmen solle‘.“
„Sie hätte das Kind auch behalten können, ‚dies wäre aber nicht schön gewesen für ihn‘. Und weiter: ‚Er wollte immer Geschlechtsverkehr ohne Kondom und ohne Schutz.’“
Nach der 180-Grad-Volte in der Einvernahme und unter entsprechendem Druck im Strafverfahren kams später zu einem zivilen Stillschweige-Deal zwischen der Frau und dem Bundesrat.
Würde die Künstlerin dagegen verstossen, müsse sie 20’000 Franken „Konventionalstrafe“ leisten, heisst es in der Weltwoche. Damals verdiente „Gehri“ nach eigener Aussage 3’000 Franken im Monat.
„Die Frau wurde mit der vollen Macht von Alain Bersets Apparat auch finanziell plattgewalzt“, so die Polit-Wochenzeitschrift als Fazit.
Die Künstlerin zeigt sich heute in der Öffentlichkeit. Aber nur Eingeweihte wissen, um wen es sich handelt.
Offenbar trägt sich die Frau mit dem Gedanken, ein Buch über ihre Affäre mit dem grossen Berset zu publizieren. Mindestens ein Verlag schaute sich das Projekt an, ging dann aber nicht weiter darauf ein.
In einer SMS-Antwort nahm die heute Mitte-Dreissigjährige keine Stellung zu entsprechenden Fragen.
Für die Weltwoche ist Bundesrat Berset kaum mehr tragbar.
„Die ‚Bereinigung‘ der ausserehelichen Affäre Bersets erzeugte einen hohen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwand in der Bundesverwaltung.“
„Auch wurde der Vorwurf der missbräuchlichen Verwendung von amtlichen Limousinen inklusive Chauffeur laut. Die parlamentarische Aufsicht muss im Erpressungsfall Berset tätig werden.“
Frau, von Bersets Truppe plattgewalzt
Bundesrat Alain Berset hat in seiner Erpressungsaffäre die Unwahrheit gesagt, Bundesbeamte missbraucht und Steuergeld verschleudert. Das belegen die geheimen Strafakten, die der Weltwoche vorliegen.
Das Unheil begann mit einem Jubiläum. Zum dreissigsten Jahrestag der Uno-Kinderrechtskonvention inszenierte sich Bundesrat Alain Berset (SP) am 15. November 2019 auf Twitter als grosser Kinderfreund: «Reden wir mit den Kindern, statt über sie!», mahnte er: «Einfach zuhören.» Fünf Tage später beugte er sich vor einem Fotografen verständnisvoll zu vier Schülern nieder, die aus der ganzen Schweiz auf den Bundesplatz gekommen waren. Kinder wollten, so der Innenminister, besonders am Jahrestag der Kinderrechte gehört werden: «Damit wir alle ihre Rechte kennen und respektieren.» Gleichzeitig präsentierte sich Berset in einem Porträt in der Schweizer Illustrierten («offen wie nie») als Ehemann und Vater dreier Kinder.
Ob so viel Kinderfreundlichkeit platzte der 33-jährigen Scarlett Gehri*, einer bekannten Künstlerin, der Kragen. «In mir kam dann alles wieder hoch», sagte sie in einer späteren Einvernahme. «Ich wurde so hässig.» Am 21. November 2019 wandte sie sich an Bundesrat Berset und warf ihm vor, bei ihr eine Abtreibung verursacht zu haben. In einer E-Mail forderte Gehri Alain Berset auf, einige Rechnungen zu bezahlen und verlangte die Übergabe von 100 000 Franken für eine angeblich «ausstehende Schuld». Gleichzeitig erwarte sie einen Terminvorschlag zur Geldübergabe im kommenden Dezember.
«Aussereheliche Beziehung»
Die angehängten Dokumente betrafen Ausschnitte aus leidenschaftlichen Chats, Details aus dem Intimleben, Hinweise auf gemeinsame Hotelübernachtungen, einen handschriftlichen Brief Bersets sowie zwei Bilder. Aus den Unterlagen geht zweifelsfrei eine beiderseitige leidenschaftliche Affäre hervor. Auch die Bundesanwaltschaft interpretierte diese Korrespondenz später so: «Die Dokumente zeigen, dass Bundesrat Alain Berset und Scarlett Gehri im Jahr 2012 eine aussereheliche Beziehung pflegten.»
Der Weltwoche liegen die streng geheim gehaltenen Strafakten dieses Falles vor. Sie werfen ein neues, brisantes Licht auf die Erpressungsaffäre um den Gesundheitsminister, die im letzten November für Schlagzeilen sorgte. Damals hatte die Weltwoche den eingeschwärzten Strafbefehl öffentlich gemacht, durch den Scarlett Gehri wegen versuchter Erpressung verurteilt worden war. Anschliessend berichteten zahlreiche andere Medien über das «Malheur» (Sonntagsblick) des Bundesrates, Tendenz abwiegelnd. Berset pochte auf seine Privatsphäre, und sein Umfeld stellte ihn als unschuldiges Opfer einer fragwürdigen Erpresserin dar. Das öffentliche Interesse blieb bestehen, auch weil die Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft eine Untersuchung angekündigt hat.
Die hier erstmals ausgewerteten Strafakten führen zu einer Neubeurteilung des Falles. Sie machen deutlich: Bundesrat Alain Berset hat gegenüber der Bundesanwaltschaft unwahre Angaben gemacht. Auch setzte er sich der Erpressbarkeit aus, indem er die Affäre gegenüber seinem familiären Umfeld geheim, also für potenziell gefährlich hielt. Aus den Akten geht hervor, dass Scarlett Gehri mit geballter Staatsmacht und mittels psychiatrischer Ferndiagnose ausgeschaltet werden sollte. Die Bewältigung von Bersets Affäre – auch das belegen die Akten – lief zu einem beträchtlichen Teil auf Kosten der Steuerzahler und der Bundesämter.
Noch am Tag des Erhalts der genannten E-Mail besprach sich Berset mit Lukas Bruhin, dem Generalsekretär seines Innendepartements (EDI). Dieser kontaktierte anderntags den Zürcher Starverteidiger Lorenz Erni, der sich aber in der Folge nicht mit dem Fall beschäftigte. Auch der EDI-Kommunikationschef Peter Lauener wurde von Berset zeitnah über «die ganze Situation» informiert. Am 22. November 2019 orientierte Scarlett Gehri Bundesrat Berset auf Instagram, es gebe Leute, die sich für die Originale interessierten; er habe jedoch bis zum 30. November 2019 die exklusive Möglichkeit zu deren Erwerb.
Am folgenden 23. November versuchte Generalsekretär Bruhin, Scarlett Gehri telefonisch und per E-Mail zu erreichen. Bruhin sprach von einer «kurzzeitigen Beziehung» und liess sie wissen, dass Berset mit seiner Frau und seiner Familie längst «im Reinen» sei über diese «rein private Angelegenheit». Nur war die Angelegenheit spätestens dann nicht mehr privat, als sich Bersets öffentlich besoldeter Stabschef damit befassen musste. Bruhin forderte Frau Gehri schriftlich auf, ihre Erpressungsversuche einzustellen und drohte: «Sollten Sie hingegen insistieren, müssen wir die Angelegenheit den Strafverfolgungsbehörden melden.» Sie antwortete per E-Mail, es existierten «finanzielle Vereinbarungen über gewisse Dienstleistungen» zwischen dem Bundesrat und ihr. Sie wolle Kontakt mit Bersets Ehefrau aufnehmen, um mit deren Hilfe zur angeblich vereinbarten finanziellen Forderung zu kommen.
Am Montag, 25. November 2019 erhielt Lukas Bruhin einen Brief von Scarlett Gehri, worin sie ihm abriet, in seiner «Funktion als Generalsekretär private ‹Aufgaben› für Herrn Berset zu erledigen». Dazu zählten auch seine Anrufversuche auf ihre private Telefonnummer: «Wenn herauskommt, dass Herr Bundesrat seine Frauengeschichten durch einen vom Staat finanzierten Sekretär abhandeln lässt, könnte sich die Täterrolle wegen Amtsmissbrauchs auf Ihren Chef wenden.» Im Übrigen könne es sich, meinte Gehri, bei ihrem Schreiben ja schwerlich um einen Erpressungsversuch handeln, wenn doch Frau Berset schon so lange so gut Bescheid wisse. Weiter behauptete Gehri: «Herr Berset hat mich auch wissen lassen, dass eine aussereheliche Affäre um das Geburtsjahr seiner Tochter kein Geheimnis sei.»
Verzögern wegen Bundesratswahlen
Am 28. November 2019 wandte sich Alain Berset in einer E-Mail an Scarlett Gehri und schlug ihr ein persönliches Treffen vor, beispielsweise in einem Café in Zürich, Bern oder sonstwo. Die Adressatin unterbreitete dem Bundesrat am 2. Dezember fünf Terminvorschläge; er solle das Geld mitbringen, damit man diese Sache endgültig abschliessen könne. Am gleichen Tag konsultierte Berset erstmals den Berner Anwalt Patrik Eisenhut. In der Folge beriet eine Art Task Force mit Berset, Eisenhut, Generalsekretär Bruhin und Kommunikationschef Lauener «die rechtliche Beurteilung und die Strategie». Die Situation war ausgesprochen misslich, denn in neun Tagen sollte die alle vier Jahre durchzuführende Wiederwahl des Gesamtbundesrats durch das Parlament stattfinden. Anwalt Eisenhut ging es ausdrücklich darum, «Zeit zu gewinnen». Besonders wichtig schien es, dass die Erpresserin ihre Erpressung zurücknahm – damit konnte die Affäre als versuchte Erpressung per Strafbefehl einigermassen vertraulich abgehandelt werden. Ein öffentlicher Prozess mit Publikum und unliebsamen Schlagzeilen sollte unbedingt vermieden werden.
Vorerst reagierte das Krisenmanagement des Innendepartements nicht auf die Terminvorschläge. Am 7. Dezember begann Scarlett Gehri, Beiträge auf dem Instagram-Account von Alain Bersets Ehefrau zu «liken». In einer E-Mail an Generalsekretär Bruhin unterbreitete sie vier Terminvorschläge und bekräftigte ihren Willen, mit der Bundesratsgattin ins Gespräch zu kommen. Zwei Tage später wandte sich Bersets Rechtsanwalt Patrik Eisenhut erstmals in sorgfältig abgewogenen Worten an Scarlett Gehri: Die vorliegenden Dokumente würden für eine Strafanzeige längstens ausreichen, doch scheine ihm dies der falsche Weg zu sein. Eine Strafe würde «mit hoher Wahrscheinlichkeit Ihre bisherige Karriere beenden». Die akute Gefährdung von Bersets Karriere war kein Thema. Eisenhut verfolgte seine Verzögerungstaktik, indem er drei mögliche Daten nach den Bundesratswahlen vorschlug.
Scarlett Gehri reagierte auf diese Abmahnung postwendend, sie werde im Falle eines Strafverfahrens «alles auf den Tisch legen». Auch stellte sie Beweismaterial in Aussicht, insbesondere über einen angeblichen Schwangerschaftsabbruch und über die «Verwendung des Bundesratsfahrzeugs für Affärenbesuche, zum Teil in Deutschland». Sollte die Angelegenheit nicht nach ihren Vorschlägen erledigt werden, würde sie Strafanzeige wegen Nötigung und Amtsmissbrauch gegen Bundesrat Berset erstatten.
Berset will sie für verrückt erklären
Am 8. Dezember, dem Sonntag vor den Bundesratswahlen vom kommenden Mittwoch, bat Rechtsanwalt Patrik Eisenhut den ihm bekannten Psychiater Fritz Ramseier um eine «dringende Besprechung». Es gehe um eine Frau, die Bundesrat Berset erpressen wollte. Ramseier erstellte in der Folge eine zweiseitige Einschätzung von Scarlett Gehri. Dies geschah aufgrund ihrer Mails und der von Eisenhut protokollierten Aussagen von Alain Berset, die sich später teilweise als falsch herausstellten. Ohne Erhebung von Befunden und ohne körperliche Untersuchung diagnostizierte Fritz Ramseier bei Frau Gehri eine «narzisstische Störung», neigte aber gar zum Befund einer «wahnhaften Störung».
Am 11. Dezember 2019, dem Tag der Bundesratswahlen, wurde der Rheinfelder Psychiater von Rechtsanwalt Eisenhut über den weiteren Verlauf der Affäre orientiert. Nun setzte Fritz Ramseier in seiner Ferndiagnose in Fettdruck noch einen drauf: «Für mich tönt die ganze Geschichte so, wie wenn nun eine Schizophrenie ausgebrochen wäre». Die emotionale, angespannte Art von Scarlett Gehri «könnte man auch als ‹Apophänie› verstehen», also ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen. «Ich frage mich», spekulierte der Seelenarzt weiter, «ob nicht eine Erkrankung des schizophrenen Formenkreises ausgebrochen ist (positive – also wahnhafte Symptome – treten bei Frauen meist im Alter von etwa 32,5 Jahren in Erscheinung).» Diese pauschale, im Kern frauenfeindliche Behauptung hätte ziemlich punktgenau auf die 33-jährige «Patientin» Scarlett Gehri zutreffen sollen. Es handelt sich hier um eine recht patriarchalisch-herablassende Art, ein angeblich typisches «Frauenleiden» auf einer exakten Altersskala zu verorten.
In der psychiatrischen Wissenschaft wird Schizophrenie nur sehr zurückhaltend diagnostiziert und setzt eine vertiefte fachärztliche Beurteilung und Beobachtung der Erkrankten voraus. Die Symptome müssen sich über einen Zeitraum von mindestens einem Monat zeigen. Was hier Psychiater Fritz Ramseier als eine Art Gutachten an die Entourage von Bundesrat Berset ablieferte, spottet jedem ärztlichen Pflichtgefühl. Doch im Fall, dass die Angelegenheit an die Öffentlichkeit durchgedrungen wäre, hätte eine solche psychiatrische Einschätzung die Möglichkeit offengelassen, die Frau als geisteskrank zu erklären. Auch konnten mit einer diagnostizierten Schizophrenie die von ihr vorgebrachten Sachverhalte rundweg abgestritten werden.
«Sehr schwere Straftat»
Noch während er die Bundesratswahlen vom 11. Dezember 2019 am Fernsehen verfolgte, erhielt Bersets Rechtsanwalt Patrik Eisenheut ein Telefon von Scarlett Gehri. Sie schlug zur Geldübergabe ein Lokal in Zürich vor, worauf Eisenhut seine Bereitschaft zur Anreise signalisierte und einen Termin am 13. Dezember vereinbarte. Dazu sollte es allerdings nicht mehr kommen. Am Tag nach seiner sehr guten Wiederwahl eröffnete der Vorsteher des Innendepartements am 12. Dezember 2019 als Privatkläger bei der Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Scarlett Gehri wegen dem Straftatbestand der Erpressung.
Gleichentags verfügte die zuständige Staatsanwältin des Bundes, Simone Meyer-Burger, mit Erlaubnis des Zwangsmassnahmengerichts eine viertägige Telefonüberwachung nebst Einsatz eines IMSI-Catchers zur Abhörung des Mobiltelefons von Scarlett Gehri. Die aufwendige Auswertung ergab keinerlei brauchbaren Ergebnisse. Doch die Bundesanwaltschaft vertrat Alain Bersets Sache überaus energisch und sprach von einer «sehr schweren Straftat». Angesichts der «sehr hoch zu gewichtenden Interessen» von Bundesrat Berset müsse das Geheimhaltungsinteresse der Beschuldigten «weit in den Hintergrund» treten. Die Strafverfolgungsbehörde witterte die «Involvierung von Drittpersonen» und wollte die Weiterverbreitung «verleumderischer Behauptungen» unterbinden. Der IMSI-Catcher sei zwecks verlässlicher Informationen über «den genauen Standort der Beschuldigten» unerlässlich. Generell handle es sich auch aus «politisch-medialer Sicht um ein hochsensibles Strafverfahren».
Elitepolizei «Tigris» marschiert ein
Aufgrund der Angaben von Bundesrat Berset erstellte Rechtsanwalt Patrik Eisenhut am Tag nach den Bundesratswahlen eine Chronologie der Ereignisse zuhanden der Bundesanwaltschaft. Demnach sei es ab «zirka Mai 2012 bis Ende 2012» zu einer ausserehelichen Beziehung zwischen Alain Berset und Scarlett Gehri gekommen. In Wahrheit traf sich das Paar noch am 23. Januar 2013 in Bersets Berner Wohnung, zog gut vier Jahre später noch eine Begegnung in Erwägung und wechselte ebenfalls bis 2017 emotionale Nachrichten aus. Kennengelernt haben sich die beiden an einem offiziellen Auslandanlass, wobei Berset die Schweizer Regierung repräsentierte. Das Machgefälle zwischen dem vierzigjährigen Kulturminister und der damals fünfundzwanzigjährigen Kulturschaffenden, die am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn stand, war zweifellos beträchtlich.
Nach dem Ende der Beziehung «Anfang Januar 2013», so der Bericht von Anwalt Eisenhut, sei es «hin und wieder zu seltenen, ausschliesslich von Scarlett Gehri initiierten Kontakten» gekommen. Der sorgfältige Bericht des Bundesamts für Polizei (Fedpol), Abteilung «Rechtshilfe, Terrorismus, Völkerstrafrecht», enttarnt diese Behauptung als unzutreffend: «Alain Berset beginnt am 24.08.2013, den Kontakt zu Scarlett Gehri zu suchen.» Erst nach zwei weiteren bundesrätlichen Mails fing Scarlett Gehri an, Alain Berset zu antworten. In den nächsten Jahren schrieb der Bundesrat ihr gemäss Auswertung der Bundeskriminalpolizei zwanzig E-Mails, während sie elf abgeschickt hat. Unter anderem kritisierte der Bundesrat den neuen Partner von Scarlett Gehri, einen schweizweit bekannten Musiker, der auch Vater ihres Kindes ist. Der von der Bundeskriminalpolizei ausgewertete Chatverlauf zeigt, dass er sie 2016 als «princesse» ansprach, sie als «extrem charismatisch» und viel intelligenter als sich selber beurteilte und ihr versicherte: «Du fehlst mir.» Noch für das Folgejahr protokolliert das Fedpol: «Am 08.10.2017 sucht erneut Alain Berset den Kontakt via E-Mail zu Scarlett Gehri.»
Der Bundesrat hat zu keinem Zeitpunkt einen Beziehungsabbruch thematisiert, sondern im Gegenteil per SMS bekräftigt, er vergesse nichts, und nichts habe sich verändert. Berset hat seine Frau über diese Beziehung erst «nach der Beendigung informiert», wobei offenblieb, wie viel später diese Bereinigung erfolgte. Fest steht damit, dass Berset aufgrund seiner geheim gehaltenen Affäre während einer beträchtlichen Zeit erpressbar war. Anwalt Eisenhut deponierte seine unvollständige und falsche Chronologie sowie seine Strafanzeige auf der Bundesanwaltschaft. Schon am nächsten Morgen sollte Scarlett Gehri durch einen massiven polizeilichen Zugriff die geballte Staatsmacht zu spüren bekommen.
Um zwanzig vor acht des 13. Dezember 2019 wurde Scarlett Gehri beim Verlassen ihrer Wohnung angehalten. Nicht weniger als sieben Bundeskriminalpolizisten unter der Zuständigkeit von Stefan Knoll standen vor dem Haus, und zwar Mitglieder der Einsatzgruppe «Tigris». Diese Elite-Sondereinheit kommt offiziell bei «Schwerstkriminalität» und «erhöhtem Risiko der Gewaltanwendung» zum Einsatz. Doch im Fall Berset drang die terrorerprobte Kampfeinheit ins Haus einer völlig perplexen 33-jährigen Mutter und ihrem vierjährigen Kind ein. Die Polizisten durchsuchten die Wohnung und konfiszierten zwei Mac-Books, einen Laptop und sechs Mobiltelefone verschiedenen Alters.
Insbesondere sollten die Bundespolizisten einen persönlichen Brief von Scarlett Gehri an Alain Berset sicherstellen. Dieses handschriftliche fünfseitige Schreiben hatte sie aber schon am Vortag abgeschickt, wobei sie versicherte, keinen Schaden anrichten zu wollen. Gehri nahm ihre Vorwürfe aber nicht zurück, sondern präzisierte, ja verstärkte sie sogar: «Du weisst, dass ich erst 25 war, und du allein weisst, dass du mir Versprechen gemacht hast, die ziemlich einschneidend sind für einen 25-jährigen Menschen (‹In 10 Jahren, wenn ich nicht mehr Bundesrat bin, werden wir . . .›).» Sie habe das Verhältnis beendet, er aber habe nicht loslassen können und sie daran gehindert, eine neue Beziehung einzugehen: «Du hast noch über Monate den Kontakt gesucht, obwohl du wusstest, dass es schwierig für mich war, mich von dir zu lösen.» Noch beim letzten Skype-Gespräch im April 2013 habe er gewünscht, «dass wir Freunde bleiben, dass ich deine Frau und Kinder kennenlernte». In diesem Brief nahm Scarlett Gehri nicht grundsätzlich von ihrer Geldforderung Abstand – wie die Bundesanwaltschaft im Strafbefehl fälschlicherweise behauptete. Sie schrieb vielmehr: «Wenn du aber ein ganz kleines Bisschen Gewissenhaftigkeit an den Tag legst, kannst du mir etwas überweisen. Wenigstens die Kosten für die Abtreibung könntest du übernehmen.»
Die Beschuldigte gab sich bei der «polizeilichen Verhaftung» durchgehend «sehr kooperativ», verzichtete auf eine Siegelung ihrer Digitalgeräte und wurde anschliessend «ohne Handfesseln» zur Vernehmung nach Bern gefahren. Die «Tigris»-Polizisten haben sich teilweise richtiggehend geschämt, wegen einer aus dem Ruder gelaufenen Affäre eines Bundesrats auf eine mit ihrem Sohn alleinlebende junge Frau angesetzt worden zu sein. Unverantwortlich scheint die Aktion auch insofern, als die Hälfte der Elitetruppe bei einer tatsächlichen Landesgefahr unabkömmlich gewesen wäre. Vorgängig informiert wurde die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, wo der Zugriff erfolgte. Nach einer über zweistündigen Fahrt traf der «Tigris»-Transport im Hauptgebäude des Bundesamtes für Polizei am Guisanplatz 1a in Bern ein. Spezialisten des Fedpol werteten anschliessend die Ergebnisse der Hausdurchsuchung und die sichergestellten Gegenstände aus.
Bundesrat «alaintigrillo»
Da Scarlett Gehri – mittlerweile in einstündiger «Polizeiverhaft» – keinen Anwalt kannte, wurde ihr von der Bundesanwaltschaft Andrea Janggen aus Bern als Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. Nach nur gerade zwanzigminütiger Absprache begann um 13.20 Uhr die Einvernahme durch die Staatsanwältin. Dabei nahm Gehri ihre Erpressung zurück; Berset habe nichts von der Abtreibung gewusst und sie auch nicht dazu genötigt. Sie habe Bundesrat Berset einfach gesagt, «dass er die Abtreibungskosten übernehmen solle». Sie hätte das Kind auch behalten können, «dies wäre aber nicht schön gewesen für ihn». Und weiter: «Er wollte immer Geschlechtsverkehr ohne Kondom und ohne Schutz.» Ausserhalb dieses Strafverfahrens hat eine Angestellte des Bundes ebenfalls schriftlich festgehalten, dass Berset auch bei ihr ungeschützt verkehren wollte. Dies ist immerhin bemerkenswert beim Schweizer Gesundheitsminister, dessen Fachleute Millionen für Kampagnen zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten ausgeben.
Alain Berset, sagte Scarlett Gehri weiter aus, betreibe bestimmte Mailadressen, «um sich zu decken», so etwa «alaintigrillo». Bei einem «Tigrillo» handelt es sich um eine südamerikanische Tigerkatze. Die Bundeskriminalpolizei ortete mindestens drei private E-Mail-Accounts. Gehri gab an, über ein Monatseinkommen von etwa dreitausend Franken (inklusive Kindesunterhalt) zu verfügen; sie müsse hart arbeiten, «und er verdient seine halbe Million». Die Verhaftete bereute und versprach, nichts Illegales mehr zu unternehmen. Danach wurde sie nach Hause entlassen.
Im anschliessenden Strafverfahren gegen Scarlett Gehri lud die Bundesanwaltschaft Bundesrat Berset schriftlich auf den 23. März 2020 als Privatkläger vor. Dabei bot die Behörde der hohen Auskunftsperson an, das Einvernahme-Zentrum diskret «durch die Einstellhalle zu betreten». Doch zwei Wochen vor dem Termin wurde die Einvernahme Bersets abgesetzt und stattdessen eine schriftliche Einvernahme in Aussicht gestellt. Damit entging der Bundesrat der Peinlichkeit, in Gegenwart seiner Ex-Geliebten aussagen zu müssen. Dass der generell sehr passive Pflichtverteidiger der Angeschuldigten darauf einging, scheint eigenartig. Wahrscheinlich wurde Gesundheitsminister Alain Berset hier unerwartet Profiteur der eben ausgebrochenen Covid-Pandemie. Jedenfalls begründete die Bundesanwaltschaft den Verzicht auf Bersets Vorladung recht pauschal «aufgrund der aktuellen Situation». Die Aufsichtskommission wird klären müssen, ob hier eine unstatthafte Begünstigung vorliegt.
Vorerst galt es allerdings, den Abschluss des Strafverfahrens abzuwarten. Am 14. September 2020 verurteilte die Bundesanwaltschaft Scarlett Gehri wegen versuchter Erpressung per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe, zu Verfahrenskosten und zur Bezahlung ihres Pflichtverteidigers, «sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben». Doch seine volle Aufmerksamkeit konnte Alain Berset der virenbedrohten Schweiz noch immer nicht widmen, wollte er doch unbedingt noch eine aussergerichtliche Schweigevereinbarung mit Scarlett Gehri aushandeln. Und plötzlich nahm sie per vierseitigem zivilrechtlichem Dokument unter Entschuldigung an die Adresse des Ehepaars Berset sämtliche Vorwürfe zurück. Weder habe ihr Alain Berset ein späteres gemeinsames Leben versprochen noch sei sie von ihm schwanger gewesen noch habe er sie zum Abbruch der Schwangerschaft genötigt und dafür 100 000 Franken versprochen.
Wie kam es zu diesem totalen Sinneswandel? Zumindest die beiden ersten Vorwürfe an Bersets Adresse hat sie zuvor unter Verpflichtung zu wahrheitsgetreuen Aussagen in ihrer Befragung durch die Bundesanwaltschaft geäussert. Wenn sie diese jetzt zurücknahm, hätte Berset sie wegen Falschanschuldigungen einklagen müssen. Dies sieht mehr nach Vertuschung als nach falschen Anschuldigungen aus. Hat Scarlett Gehri die Vorwürfe wirklich frei erfunden? Ist zwischenzeitlich Geld an sie geflossen? «Es wurde kein Rappen bezahlt», hält Bersets Anwalt Patrik Eisenhut dagegen.
Zum Schweigen gebracht
Alain Berset beanspruchte Parteikosten von 34 000 Franken und verlangte eine Genugtuung von 4000 Franken. Diese Beträge würden Scarlett Gehri erlassen, wenn sie Berset und dessen Familie nie wieder kontaktiere, völliges Stillschweigen bewahre und sich verpflichte, sämtliche den Fall betreffende Dokumente «vollständig und unwiderruflich zu löschen». Gehri hat auch Stillschweigen über Inhalt und Existenz der Vereinbarung versprochen. Und sie muss bei Nichteinhaltung eine Konventionalstrafe von 20 000 Franken und weitere hohe Schadensansprüche bezahlen. Kurz: Die Frau wurde mit der vollen Macht von Alain Bersets Apparat auch finanziell plattgewalzt.
Es geht hier nicht um die schützenswerte Privatsphäre eines bundesrätlichen Seitenspringers, sondern um Abhängigkeiten und Machtgefälle. Im Raum steht der Vorwurf des nicht angemessenen Arbeitseinsatzes von Bundesangestellten. Die Strafakten offenbaren zweifelsfreie Falschaussagen eines Bundesrates bzw. seines Anwalts über die Dauer der Beziehung und über die Tatsache, wer dabei die Initiative ergriffen hat. Die «Bereinigung» der ausserehelichen Affäre Bersets erzeugte einen hohen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwand in der Bundesverwaltung. Auch wurde der Vorwurf der missbräuchlichen Verwendung von amtlichen Limousinen inklusive Chauffeur laut. Die parlamentarische Aufsicht muss im Erpressungsfall Berset tätig werden.
* Name geändert
Christoph Mörgeli
– Schäm dich !