Schiffsjunge Marco H. packt aus

Der heute 16-jährige Schmerkner Junge Marco H.* wurde von der KESB über 21 Monate auf ein Schiff gesperrt, welches auf den Weltmeeren kreuzt. Die für die Gemeinde rund 300000 Franken teure «Therapie» wäre dazu da gewesen, Marco zu beschulen. Schule hatte der Junge aber wenig.

Marco*, willst du, dass die Obersee Nachrichten über deine Erlebnisse auf dem Schiff und deine Situation schreiben?

Ja, das finde ich gut.

Glaubst du, dass dir die Zeitungsberichte helfen?

Ja, das glaube ich.

In den letzten Monaten schrieben viele Zeitungen über dich. Wurdest du deswegen auf dem Schiff bestraft?

Immer wenn etwas in der Zeitung über mich drinstand, wurde ich danach von den Chefs eher geplagt. Solche Wochen waren dann, wie wir sagen, «verkackt». Dann wurde ich viel strenger beurteilt und es hiess: «Diese Woche hast du die Ziele nicht erreicht.»

Im Sommer hast du ein Mail an die KESB geschrieben, die Medien sollten nicht mehr über das Schiff berichten. Die KESB hat diese Mail dann an die Zeitungen weitergeleitet. Wie ist die Mail entstanden?

Die Schiffsleiter sagten mir, dass ich eine Mail schreiben soll. Sie sagten: Schreib das und das. Das habe ich dann gemacht.

Warum glaubst du, will man dir das Reden mit den Medien verbieten?

Ich glaube, dass die KESB das macht, weil ich Sachen sagen kann, die für sie nicht gut sind.

Im Mai 2014 hat dich die KESB auf das Schiff befohlen. Wie ist das für dich im Rückblick?

Ich finde das Schiff etwas Gutes für Jungs, die Drogen nehmen oder sonst in den Knast müssten. Für mich war es nicht gut, ich bin nur aus der Schule geflogen.

Was war dein Problem mit der Schule?

Ich hatte einfach keine Lust auf die Schule. Im Kindergarten hatte ich gelernt, dass man nach Hause kann, wenn man nicht mitmacht. Das habe ich einfach weitergezogen, auch in der Schule.

Ab der ersten Klasse musstest du auf Geheiss der Schule Schmerikon wegen ADS in ein Schulheim ins Toggenburg. Du warst nur am Wochenende zu Hause. Weisst du noch, was du damals gefühlt hast?

Zuerst hatte ich viel Heimweh, danach hat es mir dann aber gefallen.

Bis zur sechsten Klasse warst du ein guter Schüler. Dann soll im Schulheim etwas passiert sein. Willst du darüber reden?

Es ist etwas Schlimmes passiert … aber darüber will ich nicht reden.


«Die letzten Monate hatte ich kaum mehr Schule»


Hat dir damals jemand geholfen? Du hattest ja auch eine Beiständin.

Man hat das nicht ernst genommen. Es gab nur einen Psychotherapeuten, dem ich etwas gesagt habe, mehr war nicht.

Ist dir irgendwann klar geworden, dass es nicht gut rauskommt, wenn du die Schule verweigerst?

Nein, eigentlich nicht. Mich hat einfach aufgeregt, dass die mich überall herumgeschoben haben. Ich bin mir wie ein Bleistift vorgekommen, den man im Kreis rumreicht und keiner will ihn. Das ist auch jetzt wieder so.

Und heute, hast du das Gefühl, du hättest alles richtig gemacht?

Das habe ich mir schon überlegt. Sicher hätte ich in der letzten Schule in Lütisburg mehr mitmachen sollen. Aber da hat es plötzlich geheissen: «Das war deine letzte Chance.» Sie haben mir ab dann mit Gefängnis gedroht, aber ich habe doch kein Verbrechen gemacht, bin ja kein Drogenhändler oder so was.

Im Mai 2014 hat dich die KESB von deiner Mutter weggerissen und aufs Schiff spediert. Wie war das?

Das hat mich sehr aufgeregt, und dass ich nicht mehr nach Hause konnte. Ich bin gern zu Hause. Ich hatte auf dem Schiff viel Heimweh.

Was hast du für ein Verhältnis zu deiner Mutter?

Wir haben ein gutes Verhältnis. Wir machen viele Sachen zusammen.

Wie hast du dich auf dem Schiff gefühlt?

Das Schiff ist nichts für mich gewesen. Und ich weiss nicht, was das den anderen Jungs auf dem Schiff bringen soll.

Wie viele Jungs waren auf dem Schiff und was habt ihr angestellt?

Wir waren zwischen 10 und 15 Jungs. Ausser mir sind vor allem solche dort gewesen, die Gras geraucht haben und Einbrüche gemacht haben. Darum wollte ich von dort weg.

Du hast dich nicht wohl gefühlt mit den anderen Jungs?

Nein, aber man passt sich halt an. Ich rede dann wie sie und bin dann dabei.

Hast du auch Drogen konsumiert?

Nein, nie. Zigaretten geraucht habe ich, aber sie haben mich nie erwischt.

Was ist mit denen passiert, die sie erwischt haben?

Die mussten für ein paar Tage in die Sicherungskoje. Die war hinter einer dicken Stahltüre. Zwei mussten mehr als eine Woche da rein.

Was ist eine Sicherungskoje?

Das ist ein kleiner Raum mit einer dicken Tür und mit wenig Platz.

Du hast einen stark deformierten Fuss. Hat man auf dem Schiff dafür Sorge getragen?

Nein. Ich musste auch Nachtwache machen wie alle anderen. Da steht man mindestens zwei Stunden – und das tut mir weh.

Wie hat man auf deine Schmerzen reagiert?

Der Schiffsleiter hat dann gesagt, dass Schmerzen zum Leben gehören. Ich konnte mich nicht wehren.

Die KESB hat dich offiziell aufs Schiff befohlen, damit du richtig zur Schule gehst. Wie war der Schulunterricht auf dem Schiff?

Am Anfang haben wir unter der Woche jeden Tag von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr Schule gehabt. Am Mittwochnachmittag war frei.

Was habt ihr gelernt?

Wir hatten Rechnen, Deutsch, Englisch, Zeichnen, Geografie und Nautik.

Was heisst am Anfang?

Die ersten dreissig Wochen hatte ich eine Woche Schule und dann eine Woche Schiffsdienst. Danach hatte ich noch etwa eine Woche pro Monat Schule und drei Wochen Arbeitstraining. Die letzten Monate hatte ich kaum mehr Schule.

Warum war das so?

Wenn man eine schlechte Note hatte, also alles unter einer 4, dann musste man mehr Arbeitstraining machen. Meine Noten wurden nicht besser, und darum musste ich immer mehr Schiffsdienst machen.


«Wieder soll ich an einen Ort, wo Kiffer und Drögeler sind»


Schule hattest du wenig, dafür mehr Schiffsdienst. Dafür soll es Sackgeld gegeben haben. Wie viel?

Es gab manchmal 20 Euro pro Woche, manchmal auch viel weniger. Wenn man schlechte Noten hatte, gab es weniger Geld.

Je schlechter du in der Schule gewesen bist, umso weniger Schule gab es für dich?

Ja.

Hast du dir während der Zeit auf dem Schiff mal überlegt, dass du dir was antun könntest?

Ja, ein paarmal. Ich habe gedacht, was soll ich hier noch. Aber das bringt ja nichts.

Konntest du auf dem Schiff mailen oder telefonieren?

Telefonieren nur am Sonntag, wenn wir Verbindung hatten. Und Mails habe ich viele geschrieben. Meiner Mutter und meinem Gotti und anderen. Aber viele sind nicht angekommen. Wir durften die Mails nicht selber abschicken.

Vor wenigen Tagen hat dich die KESB vom Schiff geholt, obwohl du dort noch hättest sieben Wochen bleiben müssen. Warum?

Sie haben gesagt, dass ich nun den Schulabschluss bis zum Sommer machen muss.

Du musst nun ins Heim Platanenhof. Was hältst du davon?

Mich regt es auf, dass ich wieder an einen Ort komme, wo auch Kiffer und Drögeler sind. Ich habe gehört, dass zwei Drittel aller Leute dort positive Drogenwerte im Urin haben. Das ist schlimm. Ich will jetzt nach dem Kiffer-Schiff nicht in ein Drogenheim.

Möchtest du lieber in ein Schulheim?

Ja, gerne. Und am Wochenende möchte ich zu meiner Mutter heim.

Marco, möchtest du einen Schulabschluss machen?

Ja, weil ich in die Lehre möchte. Auf dem Bau kann ich aber nicht arbeiten. Ich brauche Arbeit, bei der ich sitzen kann, wegen meinem Fuss.

In zwei Jahren bist du 18 Jahre alt. Kannst du dir vorstellen, dass du gegen den Staat, gegen die KESB klagen wirst?

Ja, ganz sicher.

Warum?

Wegen meinem Fuss und weil sie mich einfach von meiner Mutter und aus meinem Umfeld weggenommen haben.

Der Chef der KESB heisst Walter Grob. Hast du Herrn Grob eigentlich jemals gesehen oder mit im telefoniert?

Nein, nie.

(Mario Aldrovandi, Bruno Hug)

* Name geändert

Alle Artikel zum Fall Marco H. www.obersee-nachrichten.ch Dossier «Marco H. auf dem Jugendschiff / KESB»


Obersee Nachrichten.ch


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