10-teilige Serie von Linth24 zur Kesb-Klage: Über 1 Million für nichts

Das St. Galler Kantonsgericht hat in der Kesb-Klage die Kosten verteilt. Es wurde über 1 Million Franken verpulvert. Zu Lasten der Pressefreiheit. Linth24 legt die teils schockierenden Hintergründe der Klage in einer 10-teiligen Serie mit kommentierenden Berichten von Verleger Bruno Hug offen.

Vor fast 6 Jahren, am 9. August 2016, klagten der Stadtrat von Rapperswil-Jona und der Ex-Präsident der Kesb Linth den Verlag der Obersee Nachrichten (ON) ein. Sie beschuldigten die Zeitung, mit ihren Artikeln die Persönlichkeit der Stadt, der Kesb und des Kesb-Leiters verletzt zu haben.

Schon allein die Klage zuhanden der 1. Gerichtsinstanz liess sich der Stadtrat 370’000 Franken kosten. Sie umfasste 330 Seiten und über 1’000 Seiten Beilagen. Darin bezichtigten der Stadtrat und der Kesb-Leiter die damals von mir geführte ON-Redaktion, mit einer Medienkampagne ihre Persönlichkeit verletzt zu haben. (Details dazu siehe Box weiter unten.)

10-teilige Kesb-Serie

Zu den Hintergründen dieser Klage publiziert Linth24 in den nächsten drei Wochen jeden zweiten Tag eine der zehn Folgen. Sie lesen darin, wie der Stadtrat auf Basis einer faktischen Nicht-Prüfung der Kesb Linth seine Klage gegen die Obersee Nachrichten einleitete. Und Sie erfahren, wie die Gerichte die Kesb schützten und welche Rolle der Stadtrat und der Stadtpräsident darin spielten.

Stadtrat riskierte 900’000 Franken

Vor 14 Tagen, am 23. Mai, hat nun das Kantonsgericht St. Gallen die Klage- und Gerichtskosten im Kesb-Prozess verteilt. Jetzt kann ich über die Geschehnisse rund um diese Klage informieren. Zuvor stellte jeder Bericht für uns Redaktoren ein neues Klage-Risiko des Stadtrates und seines Zürcher Anwalts dar. Ob das heute besser geworden ist, wird sich zeigen.

Wie der Stadtrat nach dem Kosten-Urteil letzte Woche mitteilte, gab er für die Kesb-Klage für Anwalts- und Gerichtskosten in den letzten 6 Jahren 765’000 Franken aus. Dazu addieren sich die aus der Entlassung des Kesb-Leiters entstandenen Personalkosten in der Höhe von 90’000 Franken sowie die Kosten aus dessen Klage gegen den Stadtrat. Geschätzt 30’000 Franken. (Die Stadt verweigert dazu die Auskunft.) Gesamthaft kostete die Kesb-Klage inklusive der Wirren um die Entlassung des Kesb-Leiters die Öffentlichkeit somit gegen 900’000 Franken.

Über 1 Million Franken für nichts

Daran sind die dem ON-Verlag und uns Ex-ON-Redaktoren auferlegten Beiträge in Höhe von 237’000 Franken abzuziehen. Unter dem Strich bleibt den Steuerzahlern von Rapperswil-Jona und den neun weiteren Linthgebiet-Gemeinden ein Schaden von rund 650’000 Franken.

Auf Seiten des ON-Verlags und uns Redaktoren entstanden Kosten von weit über einer halben Million Franken. Die Kesb-Klage und die Wirren um den Kesb-Leiter kostete somit gesamthaft weit über 1 Million Franken. Letztlich ohne damit der Allgemeinheit zu dienen. Denn die Schreibverbote, die das Gericht uns Redaktoren und den Obersee Nachrichten auferlegt hat, nützen der Bürgerschaft null und nichts.

Notwendige Berichterstattung

Die in den Obersee Nachrichten publizierten Berichte zur Kesb Linth gaben den Betroffenen von Kesb-Massnahmen eine Stimme. Das schien uns Redaktoren aus journalistischer, aber auch aus menschlicher Sicht notwendig. Dies, weil wir die Eingriffe in das Leben der von Kesb-Beschlüssen betroffenen Personen vielfach überrissen, erniedrigend und teils auch willkürlich empfanden.

Indirekt hat der Stadtrat die Notwendigkeit unserer ON-Berichte zwei Jahre später mit der Entlassung seines Kesb-Leiters und dessen Stellvertreterin bestätigt. Trotzdem wollte der Stadtrat selbst nach diesem Eklat weiterstreiten. Es gehe ihm mit der Klage um den Schutz seiner Mitarbeitenden, verkündete er immer wieder. Viele misstrauen dieser Information Aussage – zu Recht.

Kommentierende Berichte

Über die Kesb zu schreiben ist vonnöten, aber auch gefährlich. Wie ich in vielen Kesb-Fällen und mit der Kesb-Klage selbst erfahren habe, steht diese Behörde unter dem Schutz der Politik und der Schweizer Gerichtsbarkeit. Auch die Kesb Solothurn beklagte einen Journalisten der Basler Zeitung, der wenig Rühmliches zur Kesb aufdeckte und – übrigens wie wir bei den ON – deshalb seine Stelle als BAZ-Redaktor verlor.

Um der bedenklichen Tendenz von Klagen aus Verwaltung und Politik entgegenzutreten, sind alle Artikel in dieser Kesb-Serie mit «kommentierender Bericht» überschrieben. Sie enthalten ausdrücklich persönliche Wertungen, die durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sind.

Zum Schaden der Demokratie

Eine der wichtigsten Aufgaben der Medien ist es, staatliches Handeln zu hinterfragen. Im Falle der Kesb ist das doppelt wichtig, denn sie ist eine der machtvollsten und zugleich intransparentesten Behörden der Schweiz. Dies öffnet dem Machtmissbrauch und der Willkür Tür und Tor.

Gelangen aus einer solchen Behörde permanent Klagen an eine Redaktion, ist es ihre Aufgabe, dazu zu recherchieren und darüber zu berichten. Das taten die Obersee Nachrichten unter meiner damaligen Führung zwischen 2014 und 2016. Wir schrieben zu 9 Kesb-Fällen 39 Berichte, teils versehen mit Präzisierungen und Kommentaren.

Schreibverbote und 300 Streichungen

Das passte dem Stadtrat unter dem damaligen Stadtpräsidenten Erich Zoller nicht. Insbesondere, da er mit der mysteriösen Wahl des später entlassenen Leiters der Kesb Linth immer mehr unter Druck kam. Den Ausweg suchten Zoller, sein Stadtrat und der von ihm ins Amt gesetzte Kesb-Leiter Anfang 2016 mit der Kesb-Klage gegen die ON, meinen Mitredaktor Mario Aldrovandi und mich. Darin verlangten sie eine Gewinnabschöpfung bei den ON während der Berichtszeit, finanzielle Genugtuung für den Kesb-Leiter, die Löschung der Kesb-Artikel auf Google & Co, die Publikation des Urteils in den ON, die Schwärzung von 300 (!) Textpassagen in den auf Akten und Zeugenaussagen basierenden ON-Berichten und verschiedene Schreibverbote.

Mit der mit Steuergeld finanzierten Klage ging es dem Stadtrat offensichtlich darum, den ON-Verlag mit seiner kritischen Redaktion in die Knie zu zwingen. Denn in einem Zivilprozess muss jede Vorhaltung widerlegt werden. Das beschäftigte uns Redaktoren monatelang und kostete die Obersee Nachrichten für die 1. Gerichtsinstanz allein an Anwaltshonoraren rund 150’000 Franken.

Persönlichkeitsverletzung mit Medienkampagne

In der Klage wurden die dem Churer Somedia-Verlag gehörenden ON beschuldigt, die Kesb und den Kesb-Leiter durch eine Medienkampagne in ihrer Persönlichkeit verletzt zu haben. Im Kesb-Prozess ging es also primär nicht darum, die fundierten ON-Artikel zu prüfen, sondern darum, ob wir Redaktoren gegen die Kesb eine Medienkampagne gefahren und damit die Kläger in ihrer Persönlichkeit verletzt hatten.

Der Begriff der «Persönlichkeitsverletzung aufgrund einer Medienkampagne» basiert auf dem Bundesgerichtsurteil «Hirschmann II». Darin hatte der Zürcher Millionär Carl Hirschmann gegen den Tages-Anzeiger wegen der zu ihm publizierten Artikel erfolgreich geklagt. In Falle der ON-Berichte zur Kesb ging es aber nicht um Boulevard-Storys, sondern darum, wie die Staatsbehörde Kesb mit ihrer Macht, respektive ihren Klienten umgeht.

Beamte klagen auf Staatskosten

An sich hätte das Kreisgericht See-Gaster in Uznach über die Kesb-Klage richten müssen. Doch es erklärte sich befangen, weshalb der Prozess ans Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland verschoben wurde. Dieses hat in 1. Instanz – die Kesb schützend – das Hirschmann-Urteil auf amtliches Handeln ausgeweitet und die ON einer persönlichkeitsverletzenden Medienkampagne bezichtigt.

Dasselbe tat auch das St. Galler Kantonsgericht. Und das danach angerufene Bundesgericht nahm den Seitenausgang und hat sich mit der Grundsatzfrage der Ausweitung der Persönlichkeitsverletzung materiell nicht mehr beschäftigt. Dies, weil die Eigentümerin der ON, der Somedia-Verlag Chur, die auf Fakten beruhenden Kesb-Berichte (zu unserem Bedauern) gelöscht hatte.

Mit dem Ausscheren des Bundesgerichtes bleibt das St. Galler Urteil in der Kesb-Klage als Präjudiz für andere Fälle erhalten. Damit geht eine massive Schwächung der Pressefreiheit einher: Überforderte Beamte und Politiker können künftig auf Kosten der Steuerzahler kritische Medien mundtot machen. Zum Schaden der Demokratie.

Bruno Hug


Linth24.ch


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