Die Trennungskinder werden weiter leiden

Das Bundesgericht hat in einem Elternstreit über das Sorgerecht entschieden – und damit ein Problem zementiert.

Es ist eine schreckliche Geschichte, mit der sich das Bundesgericht kürzlich befassen musste. Sie handelt von einem Mann und einer Frau aus dem Kanton Zürich. Die beiden lebten zusammen, unverheiratet, bekamen ein Kind, freuten sich. Zunächst lief es gut, sie verständigten sich – selbst dann noch, als der Mann einige Monate nach der Geburt der Tochter aus der gemeinsamen Wohnung auszog.

Trotzdem begann bald der zerstörerische Kampf zweier verletzter ehemals Verliebter. Die Mutter liess die Tochter reformiert taufen, gegen den Willen des katholischen Vaters und ohne ihn darüber zu informieren. Der Vater erstattete Anzeige bei der Polizei, weil die Mutter mit der Tochter ferienhalber ins Ausland gereist war. Er gab vor, nicht über die Reise informiert worden zu sein. Die Polizeiintervention beschäftigte die Vierjährige noch lange. Später fragte sie eine Beiständin: Kommt jetzt die Polizei und nimmt mich mit?

Belohnt für den Egoismus

Diese Eltern seien zur gemeinsamen Sorge nicht fähig, befand das Bundesgericht vor wenigen Wochen. Die Mutter hatte schon bald nach Ausbruch des Trennungskampfs das alleinige Sorgerecht beantragt und damit vor allen Instanzen recht bekommen. Auch das höchste Schweizer Gericht beurteilte die Sache so und entzog dem Vater das Sorgerecht. Damit machte es nicht nur die Hoffnungen vieler Väter zunichte, die im Sommer 2014 einen Meilenstein in der Geschichte ihrer Rechte gefeiert hatten: die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts als Regelfall. Das Bundesgericht sendete auch ein folgenschweres Signal aus: Wer das Sorgerecht absolut nicht teilen will, kann sich weiterhin das alleinige erstreiten. Er braucht dafür Geduld und die unbedingte Abwesenheit von Selbstreflexion, Mitgefühl und Kooperationswillen.

Wie soll das funktionieren?

Wie sollen Eltern zur gemeinsamen Sorge fähig sein, wenn sie sich nicht einmal darauf einigen können, das gemeinsame Sorgerecht zu beantragen? Diese Frage stellten Kritiker schon in der Parlamentsdebatte. Die Frage missachtet, dass der Streit gerade durch die gegebenen Umstände genährt werden kann. Bis zum Sommer 2014 sah das Gesetz bei Uneinigkeit der Eltern das alleinige Sorgerecht vor, welches fast immer der Mutter zuteil wurde. Das hatte zur Folge, dass das Sorgerecht zu einem Hebel in der Hand der Mutter wurde, also ihr einen ungerechten Vorteil verschaffte. Legte ein Vater Wert darauf, es zu teilen, tat er gut daran, der Ex-Partnerin anderswo entgegenzukommen. Das war der Grund, weshalb viele Müttervertreter im Parlament das neue Sorgerecht vehement bekämpft haben: Es war ein Trumpf der Mütter. Und es lag ihrer Ansicht nach zu viel im Argen, als dass man diesen Trumpf aufgeben wollte: Väter, die sich um Kinderbetreuung und Alimente foutieren, ungleich verteilte Hausarbeit während der Partnerschaft, ungleich verteilte Chancen und Löhne im Beruf.

Sie können es doch

Ohne das alleinige Sorgerecht gäbe es einen Grund weniger, zu streiten, also gäbe es weniger Streit. Der Fall des Zürcher Ex-Paares illustriert dies beispielhaft. Der Mann und die Frau konnten sich nämlich durchaus verständigen, wo es juristisch keinen Spielraum gab: beim Besuchsrecht beispielsweise. Das regelmässige Bringen und Abholen der Tochter funktionierte über all die Jahre hinweg tadellos, wie auch das Bundes­gericht feststellt.

Warum dann diese «grundsätzliche Blockade in Sorgerechtsangelegenheiten»? Die Antwort ist offensichtlich: Das Sorgerecht ist ein Streitobjekt, das Besuchsrecht nicht. Wer den Kontakt des Kindes zu einem Elternteil verhindert, macht sich strafbar. Wer sich aber in Sorgerechtsfragen querstellt, wird mitunter vor Gericht belohnt.

Sicher: Auch die klügsten Gesetze verhindern keinen Streit. Aber sie können dem Streit, soweit möglich, die Grundlage entziehen. Oder sie können ihn mit unklaren Bestimmungen fördern, etwa mit dem Sorgerecht. Aus den parlamentarischen Beratungen ist hervorgegangen, dass die Gründe für einen Sorgerechtsentzug schwerwiegend sein müssen, Gewalttätigkeit oder Abwesenheit gehören dazu. Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass auch ein Dauerkonflikt ein Grund sein kann.

Das ist schlecht, am meisten für jene, die es vor allem trifft: die Trennungskinder.

(Tages-Anzeiger)


Der Bund.ch


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