Mein geplantes vaterloses Kind


Ich habe mein Kind geplant. Zugegeben, nicht von langer Hand und nicht in Absprache mit meinem damaligen Partner. Es war ein Spontanentscheid, auf der Hinfahrt zu einem romantischen Abendessen.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren eigene Kinder in meiner Lebensplanung nie wirklich vorgekommen, und ich brauchte keine, um glücklich zu sein. Zwischen zwanzig und vierzig war ich die Karriereleiter kontinuierlich emporgestiegen, bis ich oben angelangt war als eine der wenigen Frauen im Topkader meiner Firma. Ich war zwar single und kinderlos, aber führte ein ausgefülltes Leben.

Und dann stand ich im Stau zum Abendessen mit meinem damaligen Lebensabschnittspartner und hatte ein bisschen Zeit, um mich zu wundern, ob ich in diesem Leben noch Kinder wollte oder nicht. Es war auch jetzt nicht der richtige Zeitpunkt oder die richtige Beziehung dazu, und die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, war in meinem Alter ungefähr so hoch wie ein Sechser im Lotto für den, der das erste Mal spielt.

Doch in diesem einen Moment im Stau war der Traum des eigenen Kindes plötzlich da und blieb hartnäckig in meinem Kopf hängen.

Drei Wochen später wusste ich, dass ich ein Kind erwartete. Und dann brach ich in Panik aus. Wie ging das überhaupt mit einem Kind? Und wie konnte man da überhaupt weiterarbeiten? Kurz: Wie liess sich das Kind in mein bisheriges Leben integrieren? Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt rund 60 bis 70 Stunden pro Woche und konnte mir nicht vorstellen, etwas daran zu ändern. Aber zuerst einmal stand die Frage im Raum: «Und wie sage ich es dem Kindsvater?»

Und natürlich sagte ich, was alle Frauen in diesem Moment sagen: «Es tut mir leid, es war ein Versehen.»

Zugegeben, stolz darauf, den Entscheid zum Kind ohne Einverständnis des Kindsvaters gefällt zu haben, war ich nie. Auch ich hätte lieber die romantische Version gehabt. «Schatz, wollen wir nicht ein Kind?» «Schatz, ich bin schwanger!» Und danach Tränen der Freude, ein weiteres romantisches Nachtessen, die Hand des zukünftigen Vaters auf dem wachsenden Bauch, den Stolz in seinen Augen und die Aufregung in den Tagen vor und nach der Geburt. Doch in meinem Alter wusste ich, dass es diese Version mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr geben würde.

Die frohe Botschaft an den Vater meines Kindes verursachte alles andere als eine frohe Reaktion. Ich konnte ihn verstehen und hätte vermutlich genauso reagiert. Aus Gründen der Fairness war es für mich klar, vollumfänglich für das Kind aufzukommen. Ich bestand aber darauf, dass er das Kind anerkannte und den Kontakt zu ihm aufrechterhalten würde.

Heute weiss mein Kind, wer sein Papa ist, und spricht regelmässig mit ihm per Skype. Den unilateralen Entscheid zum Kind habe ich nie bereut, obwohl er mein Leben vollständig auf den Kopf gestellt hat. Natürlich liess sich das Kind nicht in mein damaliges Leben integrieren. Einige Monate nach der Geburt habe ich (gerade noch rechtzeitig) realisiert, dass ich meine Zeit lieber in mein Kind als in 150 Mitarbeitende investiere, und habe meinen Führungsjob an den Nagel gehängt. Und nein, ich bin nicht sozialhilfeabhängig. Ich komme vollumfänglich für unseren Lebensunterhalt auf. Ich bin eine glückliche, unabhängige, alleinerziehende Mutter mit einem zufriedenen Kind.

Und dennoch frage ich mich manchmal, ob mein Kind durch den vaterlosen Zustand substanzielle Nachteile erleiden könnte. Doch dann erinnere ich mich blitzartig an die aktuelle Scheidungsquote und lehne mich zurück. Mein Kind wächst vielleicht ohne Vater auf, aber zumindest kann ich ihm die Qualen von Beziehungskrisen, Trennung und Scheidung und damit verbundenen Verlustgefühlen und -ängsten ersparen. Im Endeffekt bin ich davon überzeugt, dass nicht die Konstellation von Vater und Mutter eine gute Familie ausmacht, sondern die Beziehungsqualität, in der ein Kind aufwächst.

*Name der Redaktion bekannt


Tagesanzeiger.ch


1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (4 Bewertungen, Durchschnittlich: 3,25 von 5)
Loading...
"Wenn Unrecht zu Recht wird, wird WIDERSTAND zur Pflicht!"
Veröffentlicht unter Allgemein, Entfremdung, Finanzen, Gesetz, Natur, Politik, Staat, Verantwortlichkeit, Widerstand